Meine Damen und Herren,
genießen Sie schon die Freuden der Adventszeit mit Glühwein, Lebkuchen und Besuchen auf Weihnachtsmärkten? Oder gehören Sie eher zu denjenigen, die Weihnachten mit überfüllten Innenstädten, Hektik und zu vielen sozialen Verpflichtungen verbinden? Doch wie war das eigentlich für die Menschen in den 20er Jahren? Ich habe ein wenig für Sie recherchiert und hoffe, Sie damit ein wenig auf die festliche Jahreszeit einstimmen zu können. Viel Vergnügen!
Weihnachten in der Weimarer Republik
Die ersten Weihnachtsfeste in der Weimarer Republik gestalteten sich weniger friedlich und besinnlich als es den meisten lieb gewesen sein musste. 1918 hatte es im Anschluss an die Novemberrevolution in Berlin die Weihnachtskämpfe gegeben, bei denen sich Matrosen und reguläre Truppen aufgrund von nicht gezahlten Sölden und anderen Einsparungen an Heiligabend blutige Kämpfe lieferten. Auch wenn sich die Lage ab 1920 etwas stabilisiert hatte, gehörten Armut und Entbehrung zum Alltag vieler Deutsche. Kaufhäuser und Läden waren zwar bald wieder mit Waren bestückt, aber der Absatzmarkt dafür war zunächst noch sehr niedrig. Gut Betuchte konnten Kinderspielzeuge oder die neusten technischen Errungenschaften, wie das Haltephon (eine Vorrichtung, die das Telefonieren ohne die Zuhilfenahme der Hände ermöglichte), den Hekoba (ein moderner Wohnküchenherd) oder einen Selve-Wagen (ein 24-30 PS starkes Automobil) erstehen.
Den meisten Deutschen fehlte es jedoch bereits an den wichtigsten Grundnahrungsmitteln, wie Mehl oder Kaffee. In den ersten Nachkriegsjahren waren diese häufig nur auf dem Schwarzmarkt zu bekommen und dort auch nur in minderwertiger Qualität. Glück hatte, wer Tante oder Onkel in Amerika besaß. Um die Weihnachtszeit bürgerte sich die Tradition ein, sogenannte „Liebesgaben“ an die notleidende Verwandtschaft in Deutschland zu verschicken. Diese Pakete konnten Lebensmittel, Kleidung oder Geldbeträge in Dollar enthalten, ein sehr willkommenes Geschenk, da der Dollar nicht so schnell an Wert verlor wie die immer weiter sinkende Reichsmark (siehe Artikel Hyperinflation). Es gab auch Amerikaner, die ihre „Liebesgaben“ an Institutionen wie Spitäler oder Waisenhäuser richteten.
Weihnachten anderorts: Großbritannien
Während die Verhältnisse in Deutschland schwierig blieben, konnten die Menschen im Vereinigten Königreich sich über festlichere Weihnachten freuen. Von der Warenknappheit, die auch hier zu Kriegszeiten geherrscht hatte, war ab den 20er Jahren nicht mehr viel zu spüren. Besonders auf den großen Londoner Einkaufsstraßen wie der Kensington High Street, Knightsbridge und Bond Street konnten sich diejenigen über eine riesige Produktauswahl freuen, die über das nötige Kleingeld verfügten. Wer nicht unvorbereitet zur Einkaufs-Tour aufbrechen wollte, der konnte sich zum Beispiel Rat aus der Zeitung The Sphere holen. Dort wurden reichlich Tipps gegeben, was man der Dame, dem Herren und natürlich Kindern schenken könnte. Empfohlen wurden unter anderem Stofftaschentücher mit Monogramm, Schreibgeräte, Tabakwaren und Zubehör. Ganz innovativ war eine Kombination aus Zigaretten-Aufbewahrungsdose und Schreibfeder mit Tintenfass. Andere Empfehlungen waren Spirituosen und Schrankbars, Rasierer, Staubsauger, Bekleidung, Grammophone und Kameras.
Wer noch Geld für ein Festmahl übrig hatte, konnte sich in Großbritannien mit Truthahn, Fasan, Ente oder Kaninchen eindecken. Auch glasierte Ochsenzunge, Schinken, Käsesorten wie Stilton oder Cheddar, Eingemachtes, Lebkuchen oder anderes festliches Gebäck erfreute sich großer Beliebtheit. Natürlich durfte in vielen Familien der traditionelle Christmas Pudding oder Plum Pudding nicht fehlen, der schon mehrere Wochen im Voraus vorbereitet werden musste, damit er am Weihnachtstag fertig war.
USA
Nicht weniger opulent, doch wesentlich trockener wurde das Weihnachtsfest in den USA begangen. Die Prohibition dürfte bei einigen für getrübte Stimmung während der Feiertage gesorgt haben. Die Abstinenzbewegung ging so weit, dass selbst der Messwein aus den Kirchen verbannt wurde. Eine in den 20er Jahren eingeführte und bis heute beliebte Tradition war das zeremonielle Entzünden des nationalen Weihnachtsbaums vom amtierenden Präsidenten. Am 24. Dezember1923 wurde dies erstmalig von Calvin Coolidge durchgeführt. Schon damals wurden elektrische Lichterketten verwendet, die den knapp 15 Meter hohen Baum mit 2.500 bunten Glühbirnen erstrahlen ließen.
Für die Weihnachtsbäume in den Wohnzimmern der Amerikaner wurden häufig weiterhin Kerzen verwendet, zu umständlich, unsicher und teuer war anfänglich noch die Verwendung elektrischer Baumbeleuchtung. Dekoriert wurde zu Beginn des Jahrzehnts mit weihnachtlichen Anhängern aus Baumwolle, die günstig in der Anschaffung waren und nicht zerbrechen konnten. Ende der 20er Jahre wurde es noch prächtiger mit Lametta und kunstvollem Glas-Baumschmuck, der aus Deutschland importiert wurde.
Selbstverständlich durften Geschenke auch hier nicht fehlen. Beliebt waren Gebrauchs- und Einrichtungsgegenstände wie Möbel, Teppiche, Vasen und Silberwaren oder technische Geräte für die Erleichterung der Hausarbeit, wie Staubsauger, Wäschepressen oder Kombinations-Kochgeräte. Eine gute Wahl traf man auch mit Grammophonen, Kleidung, Schmuck, Hüten und Toilettenartikeln. An Kinder wurden gerne Puppen, wie die Raggedy Ann-Puppe aus dem gleichnamigen Kinderbuch, Spielfiguren aus Metall, Jojos oder sogar elektrische Eisenbahnen verschenkt. Auch Musikinstrumente wie Gitarren oder Banjos waren unter den amerikanischen Weihnachtsbäumen zu finden.
Weihnachtsnostalgie
Nostalgie zur Weihnachtszeit ist durchaus kein modernes Konstrukt. Schon vor 100 Jahren sehnten sich die Menschen nach ruhigeren, einfacheren und schöneren Zeiten zurück, auch wenn es diese so vielleicht nie gegeben hat. In den USA der 20er Jahre war dieser Sehnsuchtsort das viktorianische England wie es der Schriftsteller Charles Dickens in zahlreichen Roman beschrieben hatte. Zu einem seiner bekanntesten Werken zählt zweifelsohne Die Weihnachtsgeschichte (A Christmas Carol), die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mehrfach verfilmt wurde. Titelblätter von Magazinen zierten Figuren, die aussahen als wären sie direkt aus Dickens' Romanen entsprungen. Dekorationen wie antike Kerzenhalter, viktorianische Papierbilder und Stechpalmenzweige sollten ein „merry old England“ zur Weihnachtszeit heraufbeschwören, das die Schrecken des gerade erst erlebten Krieges wenigstens für eine Weile vergessen machen sollte.
Verehrtes Publikum,
ich hoffe, dass ich Sie mit diesem kurzen Ausflug in die Weihnachtswelt von vor 100 Jahren ein wenig unterhalten konnte. Ich wünsche Ihnen ein wundervolles Fest, ob und wie auch immer Sie es begehen mögen. Bleiben Sie in jedem Fall gesund und mir auch im nächsten Jahr gewogen. Ich würde mich freuen!
Ihre Marleen Tigersee
Comments