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Marleen Tigersee

Was nützt die Liebe in Gedanken - Filmkritik

Updated: Jan 11, 2022




Ein junger Mann steigt langsam eine metallene Treppe hoch. Sein Gesicht ist blass und ausdruckslos. Begleitet wird er von ein paar Polizisten. Endstation ist ein Verhörraum. Eine Stimme aus dem Off gibt die letzten Zeilen eines Abschiedsbriefs wieder:


In dieser Nacht werden wir Rache nehmen, Rache an den beiden Menschen, die wir lieben und die uns um unsere Liebe betrogen haben. Dann werden wir, Günther und ich, lächelnd aus dem Leben scheiden. Das ist die volle Wahrheit.


So beginnt Achim von Borries' Film Was nützt die Liebe in Gedanken von 2004 über die Steglitzer Schülertragödie, die sich am 28. Juni 1927 in Berlin ereignet hat (mehr zu den historischen Hintergründen hier). Daniel Brühl und August Diehl spielen die Oberschüler Paul Krantz und Günther Scheller, die sich in einer Sommernacht versprechen, gemeinsam aus dem Leben zu treten, wenn sie keine Liebe mehr empfinden würden. Diesem Schwur geht ein Wochenende voraus, das die beiden Freunde im Sommerhaus der Schellers in Mahlow verbringen. Unerfüllte Liebe, Eifersucht, Einsamkeit und hochkochende Gefühle, die kein Ventil finden, führen zu einem tragischen Ende. Günther erschießt den Freund seiner Schwester Hilde, in den er unglücklich verliebt ist, und dann sich selbst. Paul löst seinen Teil des Plans nicht ein und muss sich schließlich vor Gericht verantworten.


Die Verfilmung eines so heiklen Stoffes ist kein leichtes Unterfangen. Vermutlich um die Thematik einem Publikum aus den 2000er Jahren besser begreifbar zu machen, hat sich Achim von Borries, bekannt als einer der Regisseure der Serie Babylon Berlin, für eine modernisierte Version der 20er Jahre entschieden und häufig bewusst auf Authentizität verzichtet. Einige der gezeigten Frauen tragen offene lange Haare, die Kleidung ist teilweise nicht glaubwürdig in der Zeit zu verorten und die Party der Jugendlichen im Sommerhaus der Schellers wirkt streckenweise wie aus einem amerikanischen Collegefilm (oder der deutschen Version davon) entnommen; Trinkspiele in bester Mallorca-Manier und Gruppentänze, die an Macarena-Zeiten erinnern, dazu anachronistisches Schallplatten-Scratching. Was als Auflockerung daherkommen soll, stört und irritiert mehr, als dass es einen der Thematik näher führt. Der Zuschauer wird aus der Handlung herausgebracht, da er stetig das Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt oder nicht zu Ende gedacht wurde. Der Versuch einen modernen Ansatz zu schaffen, wirkt eher, als hätte Geld oder Zeit für die richtige Ausstattung gefehlt. Wenn man davon absieht, ist Was nützt die Liebe in Gedanken dennoch ein sehenswerter Film, was er vor allem seinen beiden Hauptdarstellern zu verdanken hat. Die Gefühle und Nöte der beiden werden im Film stimmungsvoll und glaubhaft dargestellt. Die Kamera fängt die anfängliche Unbeschwertheit der Freunde auf dem Weg zum Sommerhaus ein. Zu zweit jagen sie auf einem Fahrrad eine Landstraße entlang, das Licht ist warm, beschwingte Jazzmusik läuft im Hintergrund, sie lachen, haben die Jacketts ausgezogen und die Krawatten gelöst. Stillere Momente zeigen die Jugendlichen isoliert in ihren Zimmern oder gemeinsam draußen in der Dämmerung über Leben und Tod philosophierend, das Licht ist kalt geworden, dunkle Wolken ziehen am Sommerhimmel auf.






Das Ende des Films ist beklemmend und spannend wie ein Kammerspiel. Die Seelenqualen von Paul und Günther und der letztliche Verlauf der Tat lassen den Zuschauer nicht unberührt zurück.


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