Sie bewegen sich im Künstlermilieu oder sind Dame beziehungsweise Herr von Welt? Sie träumen von einer Porträt-Fotografie, die Sie nicht nur abbildet, sondern Ihrem gesamten Wesen den richtigen Ausdruck verleiht? Dann suchen Sie nicht länger, sondern reisen Sie nach Frankfurt am Main, genauer gesagt in die zentral gelegene Börsenstraße und besuchen Sie die „Werkstätte für die Lichtbildkunst“ der Schwestern Nini und Carry Hess, Sie werden es nicht bereuen!
Sara Stefanie Hess, genannt Nini (geboren 1884) und Cornelia Hess, Spitzname: Carry (geboren 1889) wachsen in einer großbürgerlichen jüdischen Familie in Frankfurt am Main auf. Obwohl es keine gesicherten Informationen zu ihrer Ausbildung gibt, kann man davon ausgehen, dass beiden eine umfangreiche Erziehung anheimgegeben wurde. Das Interesse für Kunst und Fotografie muss schon früh bei den Schwestern vorhanden und gefördert worden sein, denn bereits 1912 gewann die damals 23-jährige Carry die Silbermedaille bei der „Allgemeinen Deutschen Photographischen Ausstellung“ in Heidelberg, in der Kategorie „Künstlerische Photographie“. Ein Jahr darauf wird das Atelier in der Börsenstraße eröffnet.
Neue Ausdrucksformen
Die Anfang des 20. Jahrhunderts aufkommende neue fotografische Stilrichtung, die sich von den Darstellungsformen der Malerei abwendet und die Individualität des Porträtierten mehr in den Vordergrund hebt, findet auch bei den Schwestern Hess großen Anklang. Schon am Anfang ihrer Karriere werden die beiden Frauen in Fachkreisen als prominente Vertreter dieses lebendigen Porträt-Stils betrachtet und Arbeiten von ihnen als Beispiele in Lehr- und Handbüchern abgedruckt.
1926 veröffentlicht Carry Hess einen Artikel mit dem Titel „Wenn ich photographiere“, der einen sehr guten Einblick in ihre Arbeitsweise und den Stil der Zeit gibt. In diesem Aufsatz geht sie auch auf die Problematiken ein, die sich beim Fotografieren der verschiedensten Menschen auftun, denn eine natürliche Unbefangenheit vor der Kamera ist nicht jedem gegeben. Um eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, versucht Carry Hess zunächst durch Konversation den Porträtierten aus der Reserve zu locken, dabei eignen sich ihr zufolge am besten Themen, die sich um Beruf oder Freizeit und Kultur drehen. Wenn dies nicht hilft, muß das Grammophon herhalten, das, stets mit neuesten Tanzschlagern wohlversorgt, zu einem Tanz und damit zu guter Laune und angeregtem Aussehen verhilft.*
Doch ist die richtige Atmosphäre im Fotostudio nur die halbe Miete. Um eine gelungene Aufnahme zu erreichen, bedarf es noch mehr, was Carry Hess im Folgenden beschreibt:
Wenn auch die Linse nur das wiedergibt, auf was man sie einstellt, versuche ich meinem Modell die charakteristische Bewegung, die formale Aeußerung seiner Persönlichkeit, die Beleuchtung, die diese Dinge besonders hervorhebt, abzulauschen und das Objektiv in dem Augenblick in Aktion treten zu lassen, in dem sich all das auf dem gemeinsamen Kulminationspunkt befindet.*
Vom Fotoatelier zum Künstlertreffpunkt
Durch diese moderne und einfühlsame Vorgehensweise, etabliert sich das Atelier Hess sehr schnell zu einer der bekanntesten Adressen in Frankfurt und darüber hinaus. Da die Schwestern Kontakte zu den Künstlerkreisen der Stadt pflegen, wird das Studio zu einem beliebten Treffpunkt der Szene, die regelmäßig zusammenkommt, um über Kunst und Theater zu diskutieren. So entstehen mit der Zeit auch viele Aufnahmen von Schauspielern und Tänzern, die in ihrer Progressivität und Ausdrucksstärke sicher einzigartig sind.
Neben Aufträgen für Porträts von Schauspielern und Tänzern, können die Schwestern bald auch Erfolge im Bereich der Werbefotografie feiern. Der berühmte Berliner Ullstein-Verlag (einer der auflagenstärksten Verlage der Weimarer Republik) druckt zahlreiche Fotografien der beiden zu diversen Themenschwerpunkten wie Mode, Kunst, Gesellschaft, Unterhaltung oder Sport ab, was ihre Bekanntheit und Popularität noch weiter fördert. So kommen im Laufe der Jahre immer wieder Prominente in das Studio Hess, um sich porträtieren zu lassen. Die Berühmtesten darunter sind sicher Thomas und Katia Mann, Carl Zuckmayer oder Max Beckmann, der so begeistert von dem Ergebnis war, dass er sich gleich mehrere Abzüge anfertigen ließ, die er dann signiert an verschiedene Bekannte verschenkte.
Wie für viele andere jüdische Künstler wird es für Nini und Carry Hess nach Hitlers Machtergreifung zunehmend gefährlich in Deutschland. Carry flüchtet 1933 nach Paris, wird zeitweise im Lager Gurs interniert und überlebt unter schwersten Bedingungen. Nini bleibt in Frankfurt, wo sie 1938 miterleben muss, wie die Nationalsozialisten das gemeinsame Atelier nebst Archiv zerstören. Anfang der 1940er Jahre wird sie deportiert und vermutlich im Konzentrationslager Auschwitz ermordet (gesicherte Aufzeichnungen gibt es dazu nicht). Gesundheitlich angeschlagen, verbringt Carry ihre letzten Lebensjahre in Chur (Schweiz), wo sie nach kräftezehrendem Kampf mit den Behörden um Entschädigung am 17. August 1957 im Alter von 68 Jahren stirbt.
Was bleibt
Nini und Carry Hess waren ohne Zweifel einzigartige Künstlerinnen ihrer Zeit und wegweisend für das Medium Fotografie. Ihnen gelang es wie kaum jemand anderes die individuelle Charakteristik eines jeden Porträtierten einzufangen und in einer dazu passenden Stimmung zu präsentieren. Die Aufnahmen sind je nach Modell melancholisch, expressiv, nachdenklich oder humorvoll. Es sind Bilder, die einen nicht kaltlassen, die man immer wieder ansehen möchte, weil sie einen mit ihrer ausdrucksstarken Bildsprache in den Bann ziehen. Stechende Augen, die den Betrachter fixieren, elaborierte Tänzerposen oder selbstvergessene Blicke in die Ferne - die Fotografien sind Zeugnisse einer Zeit, die von künstlerischer Vielfalt und Innovation geprägt war und die leider viel zu schnell ihr Ende finden musste.
Wenn Sie nun Lust bekommen haben, sich die wundervollen Werke der Schwestern Hess selbst anzuschauen, haben Sie noch bis zum 22. Mai diesen Jahres die Möglichkeit dazu. Unternehmen Sie einen Ausflug zum Museum Giersch am Schaumainkai 83 in Frankfurt am Main und besuchen Sie die Ausstellung, ich kann sie Ihnen wärmstens empfehlen!
Ich liebe meinen Beruf, weil er mir ständig neue Anregungen gibt, indem er mich täglich von neuem dem Problem „Mensch“ in jeder Fasson gegenüberstellt. (Carry Hess)
* Alle Zitate stammen aus dem Aufsatz "Wenn ich photographiere" von Carry Hess (1926)
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