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Marleen Tigersee

Um die Welt im Automobil - die Weltreisen der Aloha Wanderwell



Mitten im undurchdringlichen Dschungel von Botswana. Eine sehr große, blonde Frau gekleidet in Hemd und Kniehosen starrt ins Dickicht, ein Gewehr über der Schulter. Hinter einem Felsen starren zwei goldgelbe Katzenaugen zurück. Ein Leopard! Sie nimmt das Gewehr, legt an und drückt ab. Ein Schuss, gefolgt von einem raschelnden Geräusch sich schnell entfernender Pfoten im Unterholz. Der Name dieser jungen, unerschrockenen Abenteurerin ist Aloha Wanderwell, ihre Mission: Die Welt als erste Frau mit dem Automobil umrunden.


Idris Hall mit ca. 11 Jahren



Ein paar Jahre zuvor, im Spätherbst 1922. Aloha Wanderwell ist 16 Jahre alt und besucht eine strenge Klosterschule in Nizza an der südfranzösischen Riviera. Eigentlich heißt sie Idris Hall und stammt aus Kanada. Der frühe Tod ihres Vaters im 1. Weltkrieg zwingt die Familie die kanadische Heimat zu verlassen und nach Europa zu übersiedeln. Während die Mutter versucht Idris und ihre Schwester Miki mit ihrer mageren Witwenrente über die Runden zu bringen, träumt die 16-Jährige von Reisen in ferne Länder und von Abenteuern. Nachts liest sie heimlich Groschenromane, in denen es um nichts anderes geht. Der Zufall (oder das Schicksal) will es, dass sie eines Tages über eine Zeitungsannonce stolpert, die ihr Leben mit einem Schlag verändern wird:






BRAINS, BEAUTY – AND BREECHES

World Tour Offer For a Lucky Young Woman


Captain Walter Wanderwell is seeking a lady secretary to join his world tour by auto...

A good-looking, brainy young person, who is as clever as a journalist as her appearance is attractive. She must forswear skirts, and incidentally marriage, for at least two years. Be prepared to rough it in Asia and Africa, to record the adventures of the party, to learn to work before and behind a movie camera.*





Die junge Frau ist sofort Feuer und Flamme. Schon lange fühlt sie sich in der Klosterschule als Außenseiterin, was nicht nur an ihrer ungewöhnlichen Größen von 1,80 m liegt. Sich unterzuordnen in ein rigides System, das keinerlei Recht auf Selbstbestimmung zulässt, fällt ihr schwer, und so stehen Auseinandersetzungen mit Mitschülerinnen und Nonnen bei ihr an der Tagesordnung. Nach Lesen der Zeitungsannonce sieht sie endlich ihre Chance gekommen, ihre Wünsche nach Abenteuer und Freiheit zu erfüllen. Als sie weiter liest, dass Captain Wanderwell auf seiner Werbetour für die geplante Weltreise auch in Nizza haltmachen wird, ist ihr Entschluss gefasst.


Wie eine der Heldinnen aus ihren Abenteuer-Romanen stiehlt sie sich nach Zapfenstreich aus dem Kloster, fährt mit der Straßenbahn quer durch die Stadt und schafft es sogar sich an der Einlasskontrolle des Theaters, in dem Wanderwell auftritt, vorbeizumogeln, da ihr das Geld für den Eintritt fehlt. Nach der Vorführung, bei der es Filmmaterial von vergangenen Reisen zu sehen gibt, ist Idris' Fernweh noch stärker entfacht. Ihr Versuch hinter die Bühne zu gelangen, um Wanderwell abzufangen, wird durch eine Horde junger Frauen erschwert, die auf dieselbe Idee gekommen ist. Doch mit ihrer Körpergröße und ihrer Zweisprachigkeit kann sie sich gegen alle anderen Bewerberinnen durchsetzen. Das Abenteuer kann beginnen – wäre da nur nicht das Problem, dass Idris noch minderjährig ist...


Aloha Wanderwell / Idris Hall mit Autofahrerbrille

Bei einem Besuch ein paar Tage später versucht Captain Wanderwell Idris' Mutter davon zu überzeugen, dass ihre Tochter die Richtige ist, ihn auf seiner Weltreise zu begleiten. Walter Wanderwell, der eigentlich Valerian Pieczynski heißt und aus Polen stammt, ist schon seit seinem 14. Lebensjahr in der großen weiten Welt zu Hause. Als Matrose konnte er bereits viele Teile der Erde umschiffen, nun lockt ihn die Herausforderung mit dem modernen Transportmittel der Stunde, dem Automobil, die Welt zu entdecken. Der Ursprung dieser Idee war eine Wette zwischen ihm und seiner damaligen Ehefrau, wer die meisten Kilometer innerhalb eines Jahres im Automobil zurücklegen kann. Aus der Wette wurde letztendlich nichts, jedoch ließ Wanderwell der Gedanke an eine Weltreise per Auto nicht los. Mit dem Ende des Weltkrieges war der Abenteurer überzeugt, dass ein solches Unterfangen auch medienwirksam zu diplomatischen Zwecken genutzt werden könnte. Sein Traum eine Internationale Friedenspolizei ins Leben zu rufen, die aus vielen Weltreisenden wie ihm bestehen und die weitere Kriege in der Zukunft durch kulturellen Austausch verhindern würde, wurde zum Ziel dieser Mission. Finanziert werden sollte die Reise durch Sponsoren, dem Verkaufen von Broschüren und Postkarten und der Vorführung von Filmen in größeren Städten.


Captain Wanderwell und Aloha

Ob es Walters überzeugende Ausführungen waren, Idris' hartnäckiges Bitten oder die Zusage, dass er die Vormundschaft für ihre Tochter übernehmen würde: Mrs. Hall gibt schließlich ihre Einwilligung. Nun fehlt nur noch ein geeigneter Bühnenname für die junge Frau. Die Wahl fällt auf Aloha, in Anlehnung an Idris' Lieblingsschallplatte aus Kindertagen, die hawaiianische Tänze enthielt. So wird aus Idris Hall – Aloha Wanderwell – ein Name, der Exotik und Abenteuer verspricht.


So richtig los geht es aber erst mal nicht, denn zunächst gilt es die Werbetour durch Europa zu beenden, um weiter mediale Aufmerksamkeit und finanzielle Mittel zu akquirieren. Aloha kämpft anfangs noch mit dem freien Sprechen vor Publikum und dem gewinnbringenden Verkaufen von Broschüren. Ebenso muss sie nun lernen wie man ein Auto fährt. Wanderwell besaß mehrere Ford T-Modelle, die er nach den Bedürfnissen verschiedener Straßen- und Witterungsverhältnisse umgebaut hatte:


Es gab keine Türen, dafür aber herausnehmbare Bodenbretter [...], Räder aus gepresstem Stahl (Holzspeichenreifen waren noch die Norm) und Teleskopachsen, mit denen das Auto auf Eisenbahnstrecken fahren konnte.**



Das Fahren dieser Vehikel stellt eine ganz eigene Herausforderung dar, da es einiges dabei zeitgleich zu beachten gibt:


Der komplizierte Balanceakt von Gas, Kupplung, Drosselklappe, Starterklappe, Lenkrad und Bremse war mühsam, und allein das Anlassen des Fahrzeugs grenzte an Zauberei. [...] Es war lebenswichtig sicherzustellen, dass der Zündfunke 'verzögert' war, damit der Motor nicht zurückschlug. Auch die Kurbel musste locker gehalten werden, für den Fall, dass der Motor überdrehte und die Kurbel in den Rückwärtsgang schleuderte, wobei man sich schnell den Daumen oder das Handgelenk brechen konnte. Während man mit einer Hand kurbelte, musste man mit der anderen gleichzeitig den Starter betätigen, und zwar über einen Draht, der unter dem Kühler hing.***



Aloha vor einem der umgebauten Ford Model T

Während Aloha in ihre neue Rolle hineinzuwachsen beginnt, geht die Werbetour weiter durch Frankreich, die Schweiz, Spanien, Deutschland und Polen. Von Polen möchte man die Weltreise in östlicher Richtung beginnen, durch Rumänien, die Karpaten, die Türkei, Syrien, den Libanon und Palästina nach Ägypten. Unterwegs schließen sich regelmäßig Abenteuerlustige der Mission an, die für eine oder mehrere Etappen Teil der Wanderwell-Crew werden. Besonders gefragt sind immer wieder Übersetzer, die bei Walter gerne hübsch und weiblich sein dürfen, ein Umstand der häufig zu Eifersucht und Unfrieden führt, denn Aloha hat mittlerweile Gefühle für ihren „Adoptivvater“ entwickelt und duldet keine direkte Konkurrenz. In Polen kommt es zu einer heftigen Auseinandersetzung, die dazu führt, dass Aloha die Expedition kurzerhand verlässt und zurück nach Frankreich reist.

Doch beruhigt sich die Lage ein paar Wochen später und die junge Abenteurerin ist bereit wieder zu Wanderwell zurückzukehren. In Ägypten trifft man sich wieder, wo Filmaufnahmen von der Sphinx und den Pyramiden entstehen.


Aloha vor der Sphinx...

... und den Pyramiden

Weiter geht es mit dem Schiff das Rote Meer entlang, durch den Golf von Aden, über das Arabische Meer bis nach Bombay****. Dort muss die Mannschaft zunächst eine Zwangspause einlegen, da es Probleme mit der Einreisegenehmigung gibt, ein Hindernis, über das sie auf ihrer weiteren Reise immer wieder stolpern werden. Als sie endlich grünes Licht für die Weiterreise bekommen, will sich Aloha gleich ins Abenteuer stürzen. Die Aussicht die erste Frau zu sein, die Indien mit dem Automobil durchquert, versetzt sie in Hochstimmung. Doch die Fahrt von Bombay nach Kalkutta wird kein Spaziergang. Durch sengende Hitze, unbefestigte Straßen und Monsunregenstürme kämpfen sie sich 1.200 Meilen quer durch das Land und erreichen Kalkutta nach drei Wochen am Ende ihrer Kräfte.


Aloha mit einem Schlangenbeschwörer. Im Hintergrund das Taj Mahal

Erholen kann sich die Crew in Singapur, von wo es weiter nach China geht. Dort erwarten sie weitere bürokratische Hürden und misstrauische Militärs, außerdem bekommen sie hautnah mit wie schwer die Bevölkerung in manchen Gegenden von Armut, Seuchen und Krieg gebeutelt ist.


Alohas Ernennung zum "honorary colonel"

Weiter geht es Richtung Osten ins sowjetische Russland, wo sie von eisigen Temperaturen empfangen werden. Trotz Sprachbarrieren (einen Dolmetscher haben sie dort nicht) gelingt es ihnen freundliche Kontakte mit der örtlichen Bevölkerung zu knüpfen. Man ist von Alohas Auftreten und Leistungen so beeindruckt, dass man sie sogar in einer großen öffentlichen Feierlichkeit zum „honorary colonel“ ernennt.




Die nächste Station der Wanderwell-Expedition ist Japan. Auch dort ist man an der Grenze zunächst misstrauisch und die Gruppe muss mehrstündige Befragungen über sich ergehen lassen bis die Einreise nach drei Tagen Wartezeit schließlich endlich bewilligt wird. Der weitere Aufenthalt in Japan entschädigt jedoch für den schwierigen Start. Das angenehme Wetter, die beeindruckende Landschaft und die Gastfreundschaft der Einwohner, die sie an Tee-Zeremonien teilhaben lassen und enorme Begeisterung angesichts ihrer Weltreise zeigen, hinterlassen einen bleibenden Eindruck. Das öffentliche Interesse ist so groß, dass sogar Kronprinz Hirohito bei einer offiziellen Veranstaltung der Wanderwells kurz vorbeikommt um zu grüßen, eine große Ehre, die sicherlich nicht jedem zuteil wird. In Tokio erreicht sie die Nachricht, dass Henry Ford persönlich einen ihrer Model T-Fahrzeuge ausstellen möchte, als erster Ford, der die Welt umrundet hat. Eine Geste, mit der ihnen der Platz in den Geschichtsbüchern endgültig gesichert scheint.


Die Wanderwells in Japan

Mit kurzem Zwischenstopp in Hawaii betreten Aloha und Walter Wanderwell am 25. Januar 1925, zwei Jahre nachdem sie von Frankreich aus gestartet waren, amerikanischen Boden. Ihr Empfang dort fällt um einiges nüchterner aus als sie es bisher gewohnt sind. Die Presse ist nur oberflächlich interessiert, manche Zeitungen erwähnen ihrer Weltreise in nur zwei Zeilen neben Meldungen von ankommenden Frachtschiffen. Auch die amerikanische Justiz ist nicht auf Seiten der Wanderwells. Walter wird kurze Zeit später wegen Verdacht auf Menschenhandel („white slavery“) und angeblicher Spionagetätigkeiten während des Krieges festgenommen. Die Spionagevorwürfe werden fallengelassen, jedoch müssen sich beide wegen Alohas Minderjährigkeit vor Gericht verantworten. Erschwerend kommt hinzu, dass die junge Frau inzwischen von Walter schwanger ist. Trotz dieser Widrigkeiten gelingt es Walter schließlich sich von seiner Noch-Ehefrau offiziell scheiden zu lassen und Aloha zu heiraten. Die juristischen Probleme sind damit aus der Welt geschaffen.



Aloha mit Stummfilmgrößen Mary Pickford und Douglas Fairbanks in Hollywood 1925


Aloha kann sich nun darauf konzentrieren aus den Kameraaufnahmen ihrer Reisen einen abendfüllenden Film zu schneiden, während Walter schon Pläne für die Zukunft schmiedet. Aus dem ehemaligen „Wanderwell Around the World Endurance Contest“, kurz WAWEC, der aus der Wette mit seiner damaligen Frau entstand, soll nun der „Work Around the World Educational Club“ werden, ein Club, dem jeder beitreten kann, der wie die Wanderwells ein autarkes Leben auf Reisen führen möchte. Angesichts der vielen Reiserekorde, die in den 20er Jahren überall auf dem Globus aufgestellt wurden, sicherlich kein schlechter Einfall.



Am 20. Dezember 1925 bringt Aloha ihr Kind zu Welt, ihrem Reisefieber versetzt dies jedoch nur einen kurzen Dämpfer. Schon bald ist der Ruf nach Abenteuer wieder zu groß um ihm zu widerstehen. Bis in die 30er Jahre hinein werden sie und Walter noch einige Länder mit dem Automobil durchqueren, unter anderem Kuba, Südafrika, den Sudan, Kenia, Botswana, Brasilien und Australien und dabei weitere Rekorde brechen und erstaunliches Filmmaterial zusammentragen.






Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat und Sie nun noch mehr über die unerschrockene Aloha Wanderwell und ihre vielen Reiseabenteuer lesen möchten, empfehle ich Ihnen Alohas Autobiographie: A Call to Adventure und Aloha Wanderwell - The border-smashing, record-setting life of the world's youngest explorer von Christian Fink-Jensen & Randolph Eustace-Walden zu lesen.




Herzlichst


Ihre Marleen Tigersee














* KÖPFCHEN, SCHÖNHEIT - UND KNIEHOSEN

Weltreiseangebot für eine glückliche junge Frau


Captain Walter Wanderwell sucht eine Sekretärin, die ihn auf seiner Weltreise mit dem Auto begleitet... Eine gut aussehende, intelligente junge Person, die sowohl die Cleverness eines Journalisten als auch äußerliche Attraktivität besitzt. Dem Tragen von Röcken und der Ehe muss sie mindestens zwei Jahre abschwören. Sie muss bereit sein, sich in Asien und Afrika durchzuschlagen, die Abenteuer der Gruppe zu dokumentieren und zu lernen, vor und hinter einer Filmkamera zu agieren.


** Christian Fink-Jensen & Randolph Eustace-Walden, Aloha Wanderwell - The boder-smashing, record-setting life of the world's youngest explorer, New Brunswick 2016, S. 63.


*** ebd., S. 68 ff.


**** heute Mumbai, aus historischen Gründen wird hier der damalige Name der Stadt verwendet


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