top of page
Marleen Tigersee

Money makes the world go round – Die Hyperinflation von 1923




Meine verehrten Damen und Herren,


gehen Sie auch manchmal durch die Regalreihen Ihres lokalen Lebensmittelmarktes und denken sich: „Das war auch schon mal günstiger“? Und es ist bestimmt noch nicht so lange her, dass die gestiegenen Preise für Heizung und co. Ihnen das ein oder andere graue Haar beschert haben, habe ich recht? Stellen Sie sich jetzt vor, die Preise würden nicht jährlich, sondern täglich steigen und zwar ins schier Unermessliche. Millionen-, sogar Milliardenbeträge für die einfachsten Grundnahrungsmittel! Ein erschreckender Gedanke. Begeben Sie sich mit mir auf eine Zeitreise ins Jahr der Hyperinflation, aber passen Sie auf, dass Ihnen von den vielen Nullen nicht schwindelig wird!










1923 ist kein leichtes Jahr für Deutschland. Die Bevölkerung leidet unter den hohen Reparationszahlungen, die aus dem Versailler Vertrag hervorgegangen sind. Die Besetzung des Rheinufers durch französische und englische Soldaten verschlimmert die Situation, Streiks und politische Krawalle lassen nicht lange auf sich warten. Um den finanziellen Druck etwas zu mindern, druckt die Reichsbank mehr Geld, doch gibt es aufgrund der schlechten Wirtschaftslage nicht ausreichend Ware dafür zu kaufen, was katastrophale Folgen hat: Die wenigen Waren werden immer teurer und das viele Geld, das im Umlauf ist, wird immer weniger wert. Viele Betriebe sehen sich gezwungen massenweise Angestellte zu entlassen. Wer noch Arbeit hat, muss hoffen, dass er seinen Lohn pro Woche, oder besser pro Tag ausgezahlt bekommt, Ende des Monats kann man dafür schon nichts mehr bekommen.




Kinder spielen mit wertlos gewordenen Geldscheinen

Wie so oft trifft es die kleinen Leute am härtesten. Vermögen, die jahrzehntelang mühsam zusammengespart wurden, sind in kürzester Zeit von der Inflation verschluckt. Doch nicht nur Vermögen werden verschluckt, wer Schulden hatte, ist diese nun ebenfalls los. Firmen, die kurz vor der Insolvenz standen, können wieder Kredite aufnehmen. Bis die Raten fällig sind, ist der Wert der Mark weiter gefallen und die zu zahlenden Beträge kaum noch der Rede wert. Verlierer bleiben die Banken. Börsenspekulanten wissen ebenfalls den Verfall der Mark auszunutzen. Wer kann, handelt mit anderen Währungen, wie dem stabilen Dollar oder dem Schweizer Franken. Wie man sich vorstellen kann, erfreuen sich die Inflationsgewinnler nicht besonderer Beliebtheit unter der restlichen Bevölkerung. Klaus Mann beschreibt die Situation 1923 wie folgt:


Der blutige Aufruhr des Krieges ist vorbei: Genießen wir den Karneval der Inflation. Es ist eine Menge Spaß und Papier, bedrucktes Papier, schwaches Zeug - nennen sie es immer noch Geld? Für fünf Milliarden davon kann man einen Dollar bekommen. Was für ein Witz! Die Yankees kommen diesmal aber als friedliche Touristen. Sie kaufen einen Rembrandt für ein Sandwich und unsere Seelen für ein Glas Whisky. Krupp* und Stinnes* werden ihre Schulden los, wir von unseren Ersparnissen. Die Profiteure tanzen in den Palasthotels.“



Amerikaner wie der junge Ernest Hemingway, der zu der Zeit als Europa-Korrespondent arbeitet, können für nur ein paar Cents nächtelang in Luxushotels absteigen und alles aufkaufen, was anderenorts unerschwinglich wäre. Eine Tatsache, die zum allgemeinem Unmut der Deutschen beiträgt. Während Hemingway im Sommer noch 38.000 Mark für eine Flasche Sekt bezahlen muss, geht es mit der Mark weiter rasant abwärts. Je tiefer der Wert der Währung sinkt, desto mehr Geldnoten müssen wieder gedruckt werden, ein Teufelskreis:



Die Deutschen schwimmen im Geld und drohen darin zu ertrinken. Vor ein paar Tagen hat die Reichsbank die Eine-Milliarde-Mark-Note in Umlauf gebracht, jetzt folgen die Zehn-Milliarden-, die Hundert-Milliarden-, die Zweihundert-Milliarden-, die Fünfhundert-Milliarden-Scheine. Die Banken müssten vor der gewaltigen Papierflut kapitulieren, könnten sie nicht auf ein Heer von Geldzählern zurückgreifen, die die Scheine zu Türmen schichten.**





Das Geld zu Türmen geschichtet - Alltag in deutschen Banken


Menschen mit Karren voller Banknoten, die doch kaum einen Laib Brot dafür bekommen können, prägen nun das Alltagsbild. Die Not ist so groß, dass die Preistafeln an Theatern, Kinos oder anderen Geschäften bald statt Geldbeträgen Lebensmittel angeben, die für die jeweiligen Plätze oder Dienstleistungen zu entrichten sind.



Dienstleistungen gegen Naturalien, keine Seltenheit im Herbst 1923


Franz Kafka, der gerade mit seiner Lebensgefährtin Dora Diamant in den Berliner Bezirk Grunewald gezogen ist, meidet die Fahrt in die Innenstadt, um nicht die Bilder des Elends mit ansehen zu müssen. An seinen Freund Max Brod schreibt er am 2. Oktober:



Auch suche ich mich hier draußen gegen die wirklichen Qualen der Preise zu schützen […] gestern z.B. hatte ich einen starken Anfall des Zahlenwahns […].





Andere Schriftsteller wie Alfred Döblin, der ebenfalls in Berlin wohnt, erleben die Inflation aus nächster Nähe. In regelmäßigen Abständen notiert er wie sich die Lage immer weiter verschlimmert. Im August werden schon keine genauen Preise mehr in Lebensmittelgeschäften genannt, sondern nur noch die Zahl, mit der am Tag multipliziert werden muss. Im Oktober hält er fest:



Die Situation in Berlin ist beängstigend. […] Das Herumstehen der Menschen an den Straßenecken; sie haben jetzt Millionen, Milliarden und versuchen vergeblich dafür einzukaufen.




Doch wie konnte dieser Teufelskreis durchbrochen werden? Es sollte noch bis Dezember dauern bis die Politik dem Zahlenwahn, wie Kafka ihn nennt, ein Ende macht. Die Rentenmark wird übergangsweise das neue Zahlungsmittel, mit einem Wechselkurs von 1:1 Billion. Diese wird wiederum ein Jahr später durch die Reichsmark abgelöst, die schließlich etwas Stabilität in die angeschlagene Weimarer Republik bringt. Die Zahlung der Reparationen werden mit den Siegermächte neu verhandelt, sodass sich die Wirtschaft langsam wieder erholen kann.




Weg mit der alten Mark - hin zu besseren Zeiten. Zwei Jungen mit ihrem Papierdrachen aus wertlosen Geldscheinen



Wenn ich nun Ihr Interesse für dieses turbulente Jahr geweckt habe und Sie noch mehr über die Hyperinflation wissen möchten, im Historischen Museum in Frankfurt ist noch bis zum 10. September die Ausstellung „Inflation 1923. Krieg, Geld, Trauma.“ zu sehen, ich kann sie sehr empfehlen.



Ihre Marleen Tigersee









*Alfried Krupp und Hugo Stinnes waren Großindustrielle während der Weimarer Republik


** Zitat aus Im Rausch des Aufruhrs - Deutschland 1923 von Christian Bommerius, S. 230

17 views0 comments

Recent Posts

See All

Comments


bottom of page