Verehrtes Publikum!
Dieses Mal habe ich etwas ganz Besonderes für Sie und zwar nehme ich Sie mit auf einen Kurztrip in die Hauptstadt, nach Spree-Athen, in das deutsche Babylon. Eine Stadt, wie sie aufregender und kontroverser nicht sein kann: Von manchen wird sie geliebt, von anderen gehasst, von einigen gefürchtet, aber vor allem wird sie wie kaum eine andere gefeiert – Berlin!
Los geht es mit dem Zug. Als Reiselektüre dient mir Curt Morecks Ein Führer durch das lasterhafte Berlin*, der mit jeder Menge unterhaltsamer Bonmots aufwartet wie: Jede Stadt hat eine offizielle Seite und eine inoffizielle, und es erübrigt sich, zu sagen, dass die letztere die interessantere und für das Verständnis eines Stadtwesens aufschlussreicher ist**. Morecks Beschreibungen sind eher Milieustudie als traditioneller Reiseführer, es geht um das Entdecken des wahren Berlin, jenseits der breitgetretenen Touristen-Pfade, für das man sogar in die Halb- und Unterwelt hinabtauchen muss:
Reisen aber heißt, die Gegenwart in ihrer Intensität erleben. Ihre Intensität erlebt man nur an den Stätten des Lebens, da, wo seine Pole sich berühren, wo seine Gegensätze eins werden, wo die Menschheit sich mischt wie ein pikantes Ragout, wo die große Welt zuhause ist und die Halbwelt gastiert oder wo die Halbwelt zuhause ist und die große Welt gastiert, und schließlich auch da, wo die Unterwelt ist.***
Derart inspiriert vergehen die knapp fünf Stunden Zugreise wie im Flug. Nach kurzem Zwischenstopp im Hotel bin ich am frühen Nachmittag schon wieder auf dem Weg zu meiner ersten Station: Kleemann Hüte in der Schönhauser Allee, ein Traditionsgeschäft, das bereits seit 1905 besteht. Der Innenraum des Ladens ist reichlich bestückt mit den unterschiedlichsten Huttypen, je nach Stil und Saison ist alles dabei, sodass sicherlich jeder hier seine passende Kopfbedeckung finden kann. Nach freundlicher Beratung entscheide ich mich für einen sehr außergewöhnlichen schwarzen Cloche-Hut, den ich kurze Zeit später auch schon stolz auf der Straße ausführen kann.
Ausstellung Romanisches Café
Weiter geht es zum nächsten Programmpunkt: Die Ausstellung zum legendären Romanischen Café, die es am Originalschauplatz an der Tauentzienstraße zu sehen gibt (Eintritt frei!). Die Ausstellung ist sehr liebevoll und detailreich aufgemacht und auch wenn alles auf einen Raum beschränkt ist, gibt es viel zu sehen, zu lesen und sogar zu hören, wie den zeitgenössischen Schlager Auf der Terrasse vom Romanischen Café von Luigi Bernauer. In Schaukästen und auf großen Tafeln gibt es Informatives zum Alltagsgeschäft als auch zum Who-is-who der Kaffeehaus-Prominenz zu erfahren und die ist zahlreich! Ich kann den Besuch der Ausstellung nur empfehlen, wenn Sie vor dem 30. Juni in Berlin sein sollten, lassen Sie es sich nicht entgehen!
Joseph-Roth-Diele
Von so viel Kultur hungrig geworden, geht es nun stilecht weiter: Zur Joseph-Roth-Diele in der Potsdamer Straße, schräg gegenüber vom berühmten Varieté-Theater Wintergarten. Obwohl erst 2002 eröffnet zu Ehren des österreichischen Schriftstellers, der in der kurzen Zwischenkriegszeit seine zweite Heimat in Berlin fand, fühlt sich das Lokal an, als bestünde es schon wesentlich länger. Beim Eintreten in die Gaststube fällt einem als erstes die Speisekarte auf, die in Form einer hölzernen großen Tafel, beleuchtet von kleinen Glühbirnen wie eine Filmreklame daherkommt. Die wunderschöne Fassade der Bar erinnert an einen alten Emaille-Ofen und an den Wänden sind unzählige gerahmte Bilder, die den Schriftsteller und andere Zeitgenossen zeigen. Möchte man nicht in einer der Berliner Tageszeitungen blättern, die hier ausliegen, kann man auch in Roths Werken schmökern, die hier ebenfalls ausliegen und auch käuflich zu erwerben sind. Insgesamt ist die Atmosphäre in der Joseph-Roth-Diele sehr anheimelnd und gemütlich, das Essen gut und günstig und wenn man Glück hat (so wie ich an dem Abend), kann man sogar noch Musikern lauschen, die die ein oder andere flotte Weise zum Besten geben.
Naturhistorisches Museum
Den zweiten Tag meiner Berlin-Reise starte ich mit einem Besuch im Naturhistorischen Museum in der Invalidenstraße. Das 1889 von Kaiser Wilhelm II. eröffnete Museum zeigt eine Auswahl an echten Dinosaurierskeletten, die Anfang 1900 in Tansania gefunden wurden. Besonders beeindruckend ist Oskar, ein Brachiosaurus brancai, der im zentral gelegenen Lichthof des Museums mit seinen 13,27 m das größte montierte Dinosaurierskelett der Welt ist.
Kafka-Ausstellung in der Staatsbibliothek
Kulturell spannend geht es weiter mit der Ausstellung Das Fotoalbum der Familie Kafka im wunderschönen Gebäude der Staatsbibliothek zu Berlin. Zum 100. Todestag von Franz Kafka gibt es dort 130 Originalfotografien seiner Familie zu sehen, begleitet von Zitaten aus Tagebüchern, Briefen und Werken des Schriftstellers. Obwohl es nicht viele Aufnahmen des eher fotoscheuen Franz Kafka gibt, konnte ich doch einige mir bisher unbekannte Bilder bewundern, die auch (vor allem im Zusammenhang mit den erwähnten Zitaten) eine andere Seite auf den Autor werfen. Man sieht den lächelnden Kafka im Urlaub am Strand oder auf Ausflügen mit Freunden (zum Beispiel auf dem Wiener Prater). Die Fotos seiner Familie und die biographischen Beschreibungen, die es ebenfalls zu lesen gibt, zeichnen ein umfassendes Bild des Lebens um die Jahrhundertwende ab. Eine sehr empfehlenswerte Ausstellung, die es noch bis zum 2. Juni zu sehen gibt (hier ist der Eintritt ebenfalls frei!).
Madame Tussaud's
Als nächstes auf dem Programmpunkt steht das legendäre Madame Tussaud's, das sich Unter den Linden, nur wenige Gehminuten von der Staatsbibliothek entfernt, befindet. Dort gibt es seit September letzten Jahres einen Babylon-Berlin-Raum zu bewundern, ausgestattet mit einer Bar, an der man Cocktails und andere Getränke bekommen kann. Aber auch die anderen Exponate sind sehr sehenswert. Thematisch passend kann man die Abbilder von Josephine Baker, Marlene Dietrich, Max Schmeling oder Charlie Chaplin bestaunen, doch werden andere Geschmäcker ebenfalls bedient, sodass sich der Besuch in jedem Fall lohnt.
Hotel Adlon
Stilvoll lasse ich den Tag ausklingen bei einem Cocktail an der Bar des berühmten Hotel Adlon. Ich bestelle den Adlon Spezial | Adlon Lobby Bar 1930, eine Kreation aus edlen Spirituosen, Brombeerpüree und Sekt. Gekrönt wird das ganze mit einer in Goldstaub gepuderten Brombeere und serviert dazu bekommt man eine kleine Auswahl an Knabbereien. Während ich mein Getränk genieße (das wirklich vorzüglich ist), betrachte ich das Treiben in der Lobby dieses geschichtsträchtigen Hotels, der Elefantenbrunnen plätschert in der Mitte und im Hintergrund wehen einem sanfte Klavierklänge ins Ohr. So lässt sich das hektische Treiben draußen rasch vergessen und man taucht ein in eine ganz eigene Welt, in der man gerne noch um einiges länger verweilen würde.
Vintage-Shopping
Den nächsten Tag (Samstag) begehe ich geruhsam mit einem reichhaltigen Frühstück im Café Bilderbuch (eine echte Empfehlung!) und einer anschließenden Vintage-Shopping-Tour, die mich zu Mimi – Textile Antiquitäten (Goltzstraße 5), Spitze (Suarezstraße 53) und zu Glencheck (Joachim-Friedrich-Straße 34) führen. In den ersteren beiden erstehe ich zwei hübsche Taschen und ein paar Spitzenhandschuhe. Mit Blick auf die Uhr muss ich leider feststellen, dass ich es zu meinem nächsten geplanten Stopp, dem Berliner Modeinstitut (Gabriel-Max-Straße 13) aufgrund der doch beträchtlichen Entfernung nicht mehr schaffen werde, denn um 16 Uhr habe ich einen Termin bei Friseurmeisterin Ute Jacobs, die mir für die Bohème Sauvage, die ich am Abend besuchen werde, eine passende Frisur zaubern wird.
Bohème Sauvage
Ausgestattet mit Flapperdress und einer perfekt sitzenden Wasserwelle, mache ich mich später am Abend auf den Weg zum Ballhaus in der Chausseestraße. Bereits das Betreten des Etablissements fühlt sich wie eine Zeitreise an. Der verspiegelte Ballsaal mit Kronleuchter und Parkettboden strahlt den Glanz vergangener Dekaden aus, zu passender Musik tanzen und flanieren die ersten glamourös gekleideten Damen und Herren umher. Der hauseigene Fotograf schießt Erinnerungsbilder, das Zigarettenfräulein bietet Angenehmes und Nützliches aus ihrem Bauchladen an. Eine schmiedeeiserne Wendeltreppe führt auf die Galerie im ersten Stock, die mit Sitzgelegenheiten für die vom Tanzen müde Gewordenen aufwartet. Das Besondere hier sind die Telefone, die sich an jedem Tisch befinden und von denen man aus ganz diskret Kontakt mit der adretten Dame oder dem galanten Herren am anderen Ende des Raumes aufnehmen kann.
Zu fortschreitender Stunde hat sich das Ballhaus gut gefüllt und das Abendprogramm beginnt. Zunächst gibt es einen Charleston-Schnellkurs, damit zu den Klängen der Musik auch das Tanzbein passend geschwungen werden kann. Im Anschluss daran gibt es reichlich Gelegenheit das soeben Erlernte zu praktizieren, denn die sensationelle Gruppe The Jungle Jazz Band heizt mit rasanten Klängen dem Publikum derart ein, dass sich die Beine wie von selbst zum rasanten Takt bewegen. So in Stimmung gebracht, werden den Gästen der Bohème Sauvage noch weitere Highlights der Unterhaltung präsentiert, wie der Auftritt der Burlesque-Tänzerin Madame Midnight und des Kontorsionisten Jade Lee, der sich zu phantastischen Klängen von einer atemberaubenden Verrenkung in die nächste windet. Wer etwas Entspannung zwischen diesen aufregenden Darbietungen braucht, der kann sein Glück am Roulettetisch versuchen oder Modell sitzen für ein gezeichnetes Porträt. Zu später Stunde, mit müde getanzten Füßen, aber sehr glücklich geht es dann irgendwann wieder zurück ins Hotel mit den Gedanken schon bei der nächsten Bohème!
Max Liebermann-Villa
Für den letzten Tag habe ich mir etwas Besonderes überlegt: Einen Ausflug an den Wannsee zur Villa von Max Liebermann! Die einstündige Anreise mit Bus und Bahn vergeht wie im Flug, da man an blühenden Gärten und am See vorbeifährt und das angenehm warme Frühlingswetter sorgt für noch mehr gute Laune.
An der Villa angekommen habe ich das Glück gleich darauf an einer Führung teilzunehmen, bei der ich viel Spannendes aus dem Leben des Künstlers erfahre. Während der Führung bekommen wir das gesamte Grundstück zu sehen, das wunderschön angelegt ist, überall blüht es duftet nach Flieder. Menschen sitzen auf der Terrasse, trinken Kaffee und essen Kuchen und genießen die geruhsame Sonntagsstimmung. Man kann sich gut vorstellen, wie Liebermann mit seinen Gästen vor 100 Jahren dort gesessen haben mag (siehe hier). Nach der Führung, die in der Villa endet, in welcher es einige Gemälde des Künstlers zu sehen gibt, lege ich ebenfalls eine Kaffeepause ein und lasse den Nachmittag mit Blick auf den glitzernden Wannsee ausklingen. Beim Hinausgehen erstehe ich noch ein Gläschen hauseigenen Honig und ein paar andere schöne Andenken bevor ich wieder die Heimfahrt antrete.
Eine aufregende, kulturell vielfältige und ereignisreiche Reise in die Hauptstadt liegt hinter mir, doch wird diese mit Sicherheit nicht die letzte sein. Berlin ist stets im Wandel, immer wieder gibt es Neues zu entdecken, oder Altes zeigt sich in verändertem Glanz und will ebenfalls bewundert werden. Ich schließe diesen Bericht mit den Worten von Curt Moreck, denen ich nur zu gerne zustimmen möchte:
Berlin ist die Stadt der Gegensätze, und es ist eine Lust, sie zu entdecken.****
*Curt Moreck: Ein Führer durch das lasterhafte Berlin, Berlin 2018
**ebd., S. 11
***ebd., S. 12
****ebd., S. 12
Danke für den wunderbaren Reisebericht, den ich auch weiterleiten werde weil er so lesenswert ist! Lieben Gruß Daniel (savoyorpheans1927)