New York City: Ein wunderschöner sonniger Septembertag im Jahre 1922. Viele Herren sind auf den Straßen unterwegs, den Kopf geschützt durch einen modischen Strohhut. Plötzlich werden sie von einer Horde Jugendlicher attackiert, die es gezielt auf die eleganten Kopfbedeckungen abgesehen haben. Hüte werden von Köpfen gerissen, Prügel bekommen die, die nicht schnell genug flüchten können. Das Ganze artet zu einer Massenschlägerei aus, die die Stadt drei Tage lang in Atem hält und als Straw Hat Riots in die Geschichte eingehen wird.
Um zu verstehen, wie es so weit kommen konnte, lassen Sie uns einen kurzen Blick zu den modischen Gepflogenheiten der damaligen Zeit werfen. Es mag heute nicht mehr verständlich erscheinen, doch war die Wahl der Garderobe nicht immer frei von gesellschaftlichen Zwängen. Manches, wie das Tragen einer bestimmten Kopfbedeckung, war in den Vereinigten Staaten sogar zeitweise streng reglementiert, in dem ein offizieller Cut-Off Day eingeführt wurde, nach welchem ein bestimmter Hut bis zur nächsten Saison nicht mehr getragen wurde.
Im späten 19. Jahrhundert bis in die 20er Jahre hinein gab es spezielle Modelle für die Sommer- und die Wintersaison. Besonders populär war der Strohhut (Boater Hat) für die warme Jahreszeit, der Homburg, die Melone oder der Fedora für die kälteren Monate. Damit keiner versehentlich mit dem falschen Hut herumlaufen musste, wurde der Cut-Off Day rechtzeitig in allen großen Zeitungen angekündigt. Der Termin für die Strohhutsaison (Straw Hat Day) war meistens der 15. Juni, der Tag für die Winterhüte (Felt Hat Day genannt, da die Hüte aus Filz gefertigt waren) der 15. September, dies konnte jedoch je nach Gegend variieren. An der New Yorker Börse wurde der Felt Hat Day mit einem besonderen Ritual eingeleitet. Die Broker warfen beim Betreten des Gebäudes ihre Strohhüte auf den Boden und zertraten sie, um dann zeremoniell zum Filzhut überzuwechseln. Hier muss man anmerken, dass die damaligen Strohhüte aus kaum behandeltem Naturstroh gefertigt waren, die meist nur eine Saison hielten bevor sie unansehnlich oder schadhaft wurden und durch neue ersetzt werden mussten. Eine Variation dieses Rituals beinhaltete das Stehlen von Strohhüten anderer, die den Cut-Off-Day verpasst hatten, um diese dann ebenfalls zu zertreten. Irgendwann wurde das Stehlen und Zertreten fremder Strohhüte nach dem offiziellen Stichtag auch außerhalb der Börse zum beliebten Zeitvertreib, vornehmlich von Jugendlichen, die es mit dem Datum auch nicht immer so genau nahmen, also gerne schon ein paar Tage früher als „erlaubt“ auf Hutjagd gingen.
Im Spätsommer 1922 eskalierte das Hütestehlen jedoch unerwarteterweise. Da es im September jenen Jahres noch sehr heiß und sonnig war, befanden sich täglich sehr viele Menschen mit Strohhüten auf den Straßen von New York. Am 13. September, also noch zwei Tage vom Felt Hat Day entfernt, versuchten Jugendliche einer Gruppe von Hafenarbeitern die Strohhüte zu entwenden, die sich dies allerdings nicht gefallen ließen. Das Ganze artete zu einer Massenschlägerei aus, die den gesamten Verkehr auf der Manhattan Bridge lahmlegte. Als die Polizei eingriff, entspannte sich die Lage kurzzeitig. Doch schon am nächsten Tag gingen die Jugendlichen erneut auf Hutjagd, diesmal bewaffnet mit Stöcken, an dessen Enden spitze Nägel befestigt waren. Ein Mob von über 1.000 jungen Männern zog durch die siebzehn Kilometer lange Amsterdam Avenue, Hutträger wurden wahllos angegriffen und verprügelt, viele mussten ins Krankenhaus, darunter auch Polizisten, für die es immer schwieriger wurde, sich durchzusetzen. Es kam zwar zu einigen Verhaftungen, doch waren die Jugendlichen meist minderjährig und wurden nach Entrichtung von Geldstrafen oder körperlicher Züchtigung (spanking) durch die Eltern wieder freigelassen. Der Mob wütete noch einen weiteren Tag, doch wurden die Angriffe nach und nach weniger und schließlich erinnerten bald lediglich die Reste der zerstörten Strohhüte auf den Straßen an diese irrwitzigen Tage im September des Jahres 1922.
Ob der Grund für die Ausschreitungen allein bei den Jugendlichen zu suchen ist oder ob nicht die Hutindustrie ihre Hand mit im Spiel hatte, kann im Nachhinein nicht mehr geklärt werden. Auffällig ist, dass sich sehr viele Hutgeschäfte in der Nähe der Unruhen befunden haben, die in den Tagen der Riots sicherlich keinen schlechten Umsatz gemacht haben dürften. Ob es sich hier aber wirklich um eine aus dem Ruder gelaufene Marketing-Aktion gehandelt hat, bleibt im Reich der Spekulationen. Fakt ist, dass es kein Einzelfall blieb, sondern die Jahre darauf immer wieder passierte, jedoch nicht mehr in gleichem Ausmaß. Beendet wurden die jährlichen Ausschreitungen schlussendlich von Calvin Cooldige, dem damaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten, indem er 1925 bewusst den Cut-Off-Day ignorierte und seinen Strohhut den gesamten September hindurch zu offiziellen Anlässen trug. Dazu kann man nur sagen: Hut ab!
Opmerkingen