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Marleen Tigersee

Große Bühne Grand Hotel

Rezension zu Vicki Baums "Menschen im Hotel"





Sind Sie das ewige zu Hause-Bleiben auch langsam leid? Träumen Sie nicht auch davon, endlich wieder zu verreisen, vielleicht in eine schillernde Metropole wie Berlin einzutauchen und dort natürlich standesgemäß in einem Grand Hotel abzusteigen? Dann lassen Sie uns gemeinsam mit Vicki Baums 1929 erschienenem Roman „Menschen im Hotel“ etwas Großstadtluft schnuppern, den ich Ihnen gerne vorstellen möchte.

Vorbild für den Roman war vermutlich das (heute nicht mehr existierende) Excelsior, das in Sachen Stil und Luxus sehr an das Hotel im Roman erinnert und sich ebenfalls direkt am damaligen Berliner Hauptbahnhof befindet. Das Hotel ist der Dreh- und Angelpunkt der Handlung. In ihm findet sich ein Querschnitt der Gesellschaft und wie auf einer Theaterbühne spielen die Menschen alle eine Rolle, versuchen sich möglichst vorteilhaft und glänzend zu präsentieren, um dabei der oft sehr harten Realität für einen Moment zu entfliehen. Die Atmosphäre dieser “Bühne” wird sehr gut in folgendem Zitat wiedergegeben:


Hier traf die Jazzmusik des Tea-Rooms mit dem Geigenschmachten des Wintergartens zusammen, dazwischen rieselte dünn der illuminierte Springbrunnen in ein unechtes venezianisches Becken, dazwischen klirrten Gläser auf Tischchen, knisterten Korbstühle, und als dünnstes Geräusch schmolz das zarte Sausen, mit dem Frauen in Pelzen und Seidenkleidern sich bewegen, in den Zusammenklang.“ (S. 8) *



Doch lassen Sie uns die Charaktere etwas genauer betrachten. Da gibt es zunächst den Hilfsbuchhalter Otto Kringelein aus Fredersdorf. Fast fünfzigjährig hat er nach einer Krebsdiagnose seine gesamten Ersparnisse nebst Erbschaft zusammengenommen, um seine letzten Tage im Luxus zu verbringen. In Berlin hofft er „das wahre Leben“ kennenzulernen. Hilfe bekommt er dabei zunächst von einem der Dauergäste des Hotels, Doktor Otternschlag, einem alleinstehenden Kriegsversehrten, der tagsüber stets vergebens auf Post hofft und dessen Nächte im Morphiumnebel verschwimmen.


Ein weiterer Gast, der Kringelein zur Hilfe kommt (allerdings aus nicht ganz uneigennützigen Motiven), ist der dreißigjährige Baron Gaigern. Permanent in Geldnot, greift er häufig auf unlautere Mittel zurück, um seinen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren, was ihm schließlich zum Verhängnis wird.


Der wahrscheinlich prominenteste Bewohner des Hotels ist eine russische Primaballerina, die nur „die Grusinskaja“ genannt wird. Ausgelaugt von einer langjährigen Tänzerinnenkarriere, mit der es stetig bergab geht, befindet sie sich in einer Existenzkrise. Doch eine mitternächtliche Begegnung mit einem geheimnisvollen Fremden rückt die Dinge wieder in eine neue Perspektive.


Zum größten Verlierer unter den Gästen würde sicherlich Generaldirektor Preysing von der Saxonia Baumwoll A.G. gewählt werden. Als erfolgreicher Geschäftsmann betritt er das Hotel und in Handschellen verlässt er es wieder, doch wie es dazu kommt, wird nicht verraten.


Natürlich kommen in Vicki Baums Roman auch noch einige interessante Nebenfiguren vor, wie die Sekretärin Fräulein Flamm, genannt Flämmchen oder Flamm Zwo (da sie auch noch eine Schwester desselben Namens hat, die ebenfalls als Sekretärin arbeitet). Flämmchen ist das, was man ein Flappergirl nennen würde. Sie träumt von einer Karriere beim Film und ist dafür auch bereit das ein oder andere Angebot älterer Gönner anzunehmen.


Das Schicksal der Gäste ist ineinander verwebt, mit Otto Kringelein als eine der zentralen Figuren, aber zu viel sei hier nicht gesagt, nur so viel, dass einige überraschende Wendungen auf den Leser warten.


Und was wäre letztendlich ein Grand Hotel ohne das Personal? Die Sorgen und Nöte der Hausmädchen, Portiers, Telefonisten, Pagen, Liftboys und Rezeptionisten sind zwar nicht das zentrale Thema des Romans, doch begleiten sie stets wie einen roten Faden die Handlung.


„Menschen im Hotel“ schafft es ein authentisches Porträt von Berlin in den 1920er Jahren zu zeichnen. In einem Grand Hotel begegnen sich alle gesellschaftlichen Schichten und nicht selten kommt es vor, dass sich die Wege der verschiedensten Menschen unerwartet kreuzen. Das Hotel ist ein Ort der Durchreise, jeder kommt mit Hoffnungen, Erwartungen, aber auch Sorgen an und wird verändert und mit neuen Eindrücken wieder abreisen. Die Gäste suchen Vergnügen, Abwechslung und Erholung, manche Anschluss, Abenteuer oder nur eine vorübergehende Bleibe. Das Grand Hotel ist ein Mikrokosmos, es ist die Großstadt im Miniaturfomat. Um Anonymität und Einsamkeit zu vertreiben, schicken sich viele Gäste an, im Speisesaal oder beim Tanztee schnell Freundschaften zu schließen, die jedoch häufig nicht von Dauer sind.


Kein Mensch kümmert sich um den anderen Menschen im großen Hotel, jeder ist mit sich allein in diesem großen Kaff […]. Jeder wohnt hinter Doppeltüren und hat nur sein Spiegelbild im Ankleidespiegel zum Gefährten oder seinen Schatten an der Wand. […] Vielleicht kommt es vor, daß ein Tanz im gelben Pavillon zwei Körper nähert. Vielleicht schleicht nachts jemand aus seinem Zimmer in ein anderes. Das ist alles. Dahinter liegt eine abgrundtiefe Einsamkeit.“ (S. 237)


Glanz, Geschwindigkeit, Modernität

Man könnte dem Berlin der 20er Jahre nicht gerecht werden, wenn nicht die einzigartigen technischen Neuerungen Erwähnung fänden, die die Metropole damals schon zu bieten hatte. Das Grand Hotel ist hoch modern, es wird mit elektrischem Strom betrieben, vor den Türen warten Chauffeure in Automobilen, die die Gäste zu ihren gewünschten Destinationen fahren. Selbst eine Flugreise ist keine Sache der Unmöglichkeit in dieser Stadt von Weltrang.

Aber auch die Musik darf nicht zu kurz kommen, und was könnte hier passender sein als der Jazz? Vicki Baum gelingt es wunderbar, die verrückte und geradezu hypnotische Anziehungskraft dieser Musik in Worte zu fassen:


Das Wichtigste und Bemerkenswerteste […] aber war die Musik. Sie wurde erzeugt von sieben unbeschreiblich vergnügten Herren in weißen Hemden und engen Hosen, der berühmten Eastman-Jazzband, sie war von einer tollen Lebendigkeit, sie trommelte unter die Sohlen, kitzelte in den Hüftmuskeln, sie hatte zwei Saxophone, die weinen konnten, und zwei andere, die sich in der spitzigsten und hohnvollsten Weise darüber lustig machten. Sie sägte, knackte, stand kopf, rasselte, legte gackernd Eier aus Melodie, die sie sogleich zertrampelte – und wer in den Umkreis dieser Musik geriet, der verfiel dem zuckenden Rhythmus des Saales, wie wenn er verhext sei.“(S. 214)


„Menschen im Hotel“ ist ein großartiges Buch, das ich wärmstens empfehlen kann. Es zeigt anschaulich die vielen Facetten der Großstadt Berlin, dem Mikrokosmos Hotel und seiner Bewohner. Der Leser leidet mit der einsamen Grusinskaja, freut sich über Kringeleins Mut und Lebenswillen und fiebert mit bei Baron Gaigerns gewagten Manövern. Hier ist für jeden etwas dabei, die Schicksale der Charaktere lassen den Leser nicht kalt, sondern bringen ihn zum Nachdenken. Nur ungerne taucht man am Ende wieder auf aus dieser glitzernden aber auch abgründigen Welt der einstigen Grand Hotels.




* Zitate sind alle aus der Ausgabe Frankfurt a. M., Wien u. Zürich 2010 nach der Lizenz von Köln 1988

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