Max Liebermanns und Julie Elias' Welt des guten Geschmacks
Stellen Sie sich einen warmen Sommerabend vor. Sie befinden sich vor einer charmanten Villa inmitten eines lauschigen Gartens, direkt am Ufer des Wannsees. Wir schreiben natürlich die 20er Jahre und Sie sind beim Ehepaar Liebermann, das in besagter Villa residiert, zum Abendessen eingeladen. Ebenfalls zu Gast sein wird das Kunstkritiker-Ehepaar Elias und vielleicht werden die Hauptmanns, die Cassirers und die Zuckmayers ebenfalls mit ihrer Anwesenheit glänzen. In den Händen halten Sie die kunstvoll illustrierte Einladung vom Gastgeber höchstpersönlich, die Speisen wie „Suppe Ambassadeur“, „Gedämpfte Zanderfilets à la printanière“, „Rebhühner en cachette“ und „Äpfel mit spanischem Wind“ ankündigt. Appetit bekommen? Dann lassen Sie uns gemeinsam auf eine kulinarische Zeitreise gehen mit Ursula Hudson-Wiedermanns Buch 'Meisterwerke für uns'ren Gaumen' – Max Liebermanns Geselligkeit und feine Küche*.
Nicht jedem dürfte geläufig sein, dass der berühmte Maler Max Liebermann (1847-1935) bei Freunden und Zeitgenossen als großer Gourmet galt. In einer wohlhabenden, großbürgerlichen Familie aufgewachsen, zeigte sich sein Interesse an gutem Essen schon in frühen Jahren, was er als junger Mann und auch später immer wieder gerne künstlerisch in seinen Werken ausdrückte. Ein Beispiel dafür ist sein Gemälde Selbstbildnis mit Küchenstilleben von 1873, was ihn lächelnd als Koch umgeben von frischem Gemüse und einem Suppenhuhn darstellt.
Dass für gutes Essen zunächst gute Primär-Produkte vonnöten sind, war für Liebermann eine Selbstverständlichkeit. Wenn diese Voraussetzung geschaffen ist, kommt im nächsten Schritt die Kochkunst zum Zuge, um aus den Produkten kulinarische Meisterwerke zu kreieren:
„Kunst u Natur sei auch im Essen eines nur: die matière première muß gut sein, aber nur die Kunst kann aus ihr ein Meisterwerk für uns'ren Gaumen machen.“ (S. 22)
Besonders der Garten seiner Villa am Wannsee, in dem er Obst und Gemüse anzubauen pflegte, spielte für diese Betrachtungsweise eine zentrale Rolle. Nicht nur, dass er dort stets ernten konnte, was gerade Saison hatte, der Garten war auch Rückzugsort in den Kriegsjahren und half in der Nachbarschaft vorhandenen Mangel an frischen Lebensmitteln auszugleichen.
Eine geistige Verwandte seiner Auffassung zu gutem Essen fand er in der Mode- und Kulturjournalistin Julie Elias (1866-1945), die, zusammen mit ihrem Mann, dem Nordisten und Kunstkritiker Julius Elias, häufig bei den Liebermanns zu Gast war. Julie Elias stammte ebenfalls aus dem gehobenen Bildungsbürgertum, reiste gerne und sprach mehrere Fremdsprachen. Ab 1915 schrieb sie regelmäßig für das Berliner Tageblatt und Die Dame Artikel über Mode und Esskultur. Ihrer Begeisterung für Letzteres verlieh sie 1922 mit der Veröffentlichung ihres ersten Kochbuchs Brevier der feinen Küche Ausdruck. Dieses Werk enthielt neben Rezepten, die von ihr selbst und von Freunden stammten oder auf Reisen gesammelt wurden, zahlreiche Illustrationen, Kupferstiche und Gemälde zum Thema Essen, begleitet von dazu passenden literarischen Zitaten und Sprichwörtern.
Drei Jahre später brachte Julie Elias noch ein weiteres Kochbuch mit dem Titel Kochkunst - ein Führer durch die Feine Küche heraus, das sie Max Liebermann widmete. Das Besondere an diesen beiden Kochbüchern ist, dass sie nicht nur aus simplen Aneinanderreihungen von Rezepten und mechanischen Anleitungen zur Zubereitung bestehen, ihr Ansatz ist wesentlich weiter gefasst. Elias möchte den Lesern vermitteln, dass Essen mehr sein kann als reine Nahrungsaufnahme. Mit den richtigen Mitteln wird daraus eine Kultur- und Kunsterfahrung. Zusammen mit Familie und Freunden kann Essen Freude, Geselligkeit, Trost und Gemeinschaftsgefühl stiften. Die Konzentration auf guten Geschmack, frische Zutaten und eine raffinierte Zubereitung (die nicht kompliziert sein muss) steht dabei immer im Mittelpunkt. Es reicht allerdings nicht, nur die Technik des Kochens zu beherrschen, der Verstand und die Sinne müssen dabei auch stets im Einklang miteinander sein:
„An den Kochherd soll keiner treten, der nicht imstande ist, ein Gericht in allen Stadien des Werdens zu beobachten und zu prüfen. Die Intelligenz allein tut es nicht – eine verfeinerte Sinnlichkeit ist nötig.“ (S. 129)
Elias geht es außerdem um eine neue Wertschätzung des Kochens, da die Essenszubereitung ihrer Ansicht nach einen nicht zu unterschätzenden Faktor in der Menschheitsgeschichte darstellt. Für sie braucht es eine Mischung aus stetig geübtem Handwerk, Geduld und Sorgfalt, zusammen mit einem intelligenten, feingeistigen Ansatz. Doch ist Elias' Betrachtungsweise nicht als elitär und gestrig zu verstehen, ein Überbleibsel aus der vergangenen Salon-Kultur des 19. Jahrhunderts vielleicht. Ihre Kochbücher sind durchaus auf die veränderten Lebensumstände der 20er Jahre angepasst, in denen es mehr und mehr berufstätige Frauen gab. Die Rezepte sind so aufgebaut, dass sie allein und ohne Küchenhilfe zu bewältigen sind. Die Effizienz steht dabei klar im Mittelpunkt. Die Prozesse sind vereinfacht und verkürzt, sodass sich alles möglichst zeitsparend zubereiten lässt. Dabei wird aber auch die Machbarkeit und die Verfügbarkeit der Produkte nicht außer Acht gelassen. Zudem finden sich Hinweise auf Hygiene und Sparsamkeit, die Zutaten sollen nach Möglichkeit so verwendet werden, dass nichts davon verschwendet wird. Gerade nach den Kriegsjahren 1914-1918 und den dadurch erlebten Mangel, soll nun eine Rückbesinnung auf gutes und gesundes Essen erfolgen.
Ursula Hudson-Wiedemann gelingt es in 'Meisterwerke für uns'ren Gaumen' – Max Liebermanns Geselligkeit und feine Küche die beiden Freunde Max Liebermann und Julie Elias und deren gemeinsame Liebe zur feinen Küche sehr anschaulich darzustellen. Das Buch kommt mit schönen aktuellen Aufnahmen aus Liebermanns Garten daher, begleitet von historischen Fotografien, Gemälden und Illustrationen (zum Beispiel von Menükarten). Außerdem enthalten ist eine Auswahl an Originalrezepten von Julie Elias, die Lust auf Nachkochen machen (hierzu wird es demnächst noch einen Artikel geben, Sie können gespannt bleiben!). Das Buch ist in jedem Fall eine klare Empfehlung für alle, die an Kunst, Kultur und natürlich Gastronomie Freude haben und vielleicht auf der Suche nach neuen Inspirationen für eine Dinnerparty sind. Und wer sich schon immer gefragt hat, ob es nicht zu vermessen ist, sich selbst als Feinschmecker zu bezeichnen, dem gibt Julie Elias ganz nonchalant Folgendes mit auf den Weg:
„Nur Dummköpfe sind keine Feinschmecker. Man ist Gourmet, wie man Künstler, wie man Dichter ist. Der sinnliche Geschmack ist ein so delikates, der Vervollkommnung fähiges und achtbares Organ wie das Auge und das Ohr. Fehlt der Geschmack, so ist man einer erlesenen Fähigkeit beraubt, der Fähigkeit, die Speisen zu würdigen; wie man unfähig sein kann, den Qualitäten eines Buches oder eines Kunstwerkes gerecht zu werden. Man hat einen dummen Mund, wie man einen dummen Kopf hat...“ (S. 129)
Na dann, bon Appétit!
*vacat verlag, Erste Auflage, Potsdam 2009
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