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Marleen Tigersee

Die Weltreise der Queen of Crime



Meine lieben Damen und Herren,



glauben Sie an Zufälle? Oder gehören Sie eher der Fraktion an, die an Vorherbestimmung glaubt? Als ich neulich in Vorbereitung meines Sommerurlaubs auf der Suche nach Reiseführern das weltweite Netz durchstöberte, stieß ich auf ein Buch, das ich, kaum entdeckt, sofort in meinen elektronischen Warenkorb beförderte. Der Titel des Buches lautete: The Grand Tour: Letters and photographs from the British Empire Expedition 1922 und enthält Briefe und Fotografien von Agatha Christie, der Queen of Crime höchstpersönlich, herausgegeben von ihrem Enkel Mathew Prichard. Im Vorwort beschreibt Christies Enkel, wie er im Januar 2012, exakt 90 Jahre nach Start der Expedition, die Briefe und Fotos seiner Großmutter zu dieser Reise entdeckte und sich gleich daran machte, ein Buch daraus zu konzipieren. Ich selbst entdecke das Buch nun genau 100 Jahre nach Christies Weltreise, zwar nicht im Januar, aber ich denke, es ist trotzdem erstaunlich genug! Zufall oder nicht, ich habe mich sehr über die Entdeckung gefreut und wollte Sie in diesem Zuge natürlich auch gleich an diesem Abenteuer teilhaben lassen. Also setzen wir die Segel und begleiten die Queen of Crime auf ihrer zehnmonatigen Reise über mehrere Kontinente – Bon Voyage!


Als Agatha Christie am 25. Januar 1922 das Deck der Kildonan Castle betritt, blickt sie auf die grünen Hügel der Insel Madeira. Vier Tage lang litt die Schriftstellerin unter Seekrankheit und konnte ihre Kabine nicht verlassen. Die Schönheit der Insel scheint ihr nun um so überwältigender und auch wenn keine Zeit ist, für eine Erkundungstour von Bord zu gehen, bedeutet diese Etappe ein erster Meilenstein für die Teilnehmer der British Empire Expedition. Doch bevor es mit der Reise weitergeht, lassen sie uns einen kurzen Blick zurück werfen.



Pressebericht über die Expedition. Agatha Christie ist nicht wie behauptet die Zweite von links sondern von rechts.


Eine einmalige Gelegenheit


Die Nachkriegsjahre waren eine schwierige Zeit für Europa. Auch in einem Land wie Großbritannien merkte man die politischen Veränderungen, die mit dem „Great War“ einhergegangen waren. Das Empire verlor zusehends an Macht und Bedeutung. Um dem entgegenzuwirken wurde 1921 beschlossen, den wichtigsten Ländern des Empire einen offiziellen Besuch abzustatten, um sich ein Bild von der wirtschaftlichen Lage zu machen und einmal mehr die Vormachtstellung der Briten zu festigen. Die Tour sollte im darauffolgenden Jahr über zehn Monate hinweg stattfinden, eine Ausstellung, die die Ergebnisse der Reise präsentiert, wiederum zwei Jahre später. Doch wer sollte diese Reise unternehmen? Wie man sich vorstellen kann, musste die Regierung nicht lange nach Freiwilligen für dieses besondere Unterfangen suchen. Ein gewisser Major Belcher, bekannt dafür sich lukrative Posten zu sichern, selbst wenn er nicht immer über die nötigen Qualifikationen verfügte, war auch diesmal zur richtigen Zeit am richtigen Ort – ohne zu zögern verschaffte er sich die Leitung der Expedition. Als Begleiter rekrutierte er Agatha Christies Ehemann Archie, den er über die gemeinsame Arbeit bei der Imperial and Foreign Corporation her kannte und für seine Fähigkeiten im Bereich Mathematik und Rechnungswesen schätzte. Weitere Teilnehmer der Reisegruppe wurde Mr. Hyam, ein weiterer Kollege und Freund Belchers, zusammen mit seiner Frau und Tochter und sein Sekretär Mr. Bates.


Als Agatha Christie von der geplanten Tour erfuhr, wurde sie sofort von Reiselust gepackt. Schon immer hatte die Schriftstellerin davon geträumt die Welt zu sehen und die British Empire Expedition schien ihr eine einmalige Gelegenheit zu sein, diesen Traum zu erfüllen. Agatha konnte den Major überzeugen, sie als weiteres Mitglied der Reisegesellschaft aufzunehmen und kurz darauf konnte es schon an die Planung gehen. Ganz problemlos war Agathas Teilnahme nämlich nicht, denn die Christies hatten eine zweijährige Tochter, die sie nicht mitnehmen konnten. Außerdem stand es um die finanzielle Lage des Ehepaars nicht zum Besten. Archie musste damit rechnen, dass sein Posten während seiner langen Abwesenheit nicht für ihn freigehalten wurde und auch wenn Agatha schon erste schriftstellerische Erfolge verzeichnete, waren ihre Einkünfte noch schmal bemessen, sodass sich beide verständlicherweise Sorgen um die Zukunft machten. Doch die Reise- und Abenteuerlust überwog schließlich und nachdem die Tochter sicher in die Obhut von Agathas Schwester gebracht wurde, konnte es losgehen.



Agatha an Bord der Kildonan Castle

Die Segel werden gesetzt


Im Januar 1922 gehen die Teilnehmer der British Empire Expedition an Bord der Kildonan Castle und als die ersten schweren Tage mit unruhigem Seegang überwunden sind, macht sich die Vorfreude innerhalb der Gruppe bemerkbar. Nach der Insel Madeira ist die nächste Landmasse, die die Passagiere zu sehen bekommen, die Küste Südafrikas. Doch so groß die Freude über die erste Station der Reise ist, so schnell trübt sie sich auch wieder, denn die Gesellschaft merkt schnell, dass Major Belcher kein einfacher Zeitgenosse ist. Unvorhersehbare Launen, die sich zu Wutausbrüchen steigern können und snobistisches Gebaren stellt die Geduld der Gruppe mehr als einmal auf eine harte Probe. Eine sich stetig verschlimmernde Verletzung an Belchers Bein, die er entgegen ärztlichen Rates nicht auskuriert, spannt die Lage noch zusätzlich an. Agathas Briefe an ihre Mutter und Schwester kommentieren süffisant das Verhalten Belchers, doch scheint es den Teilnehmern meist zu gelingen, darüber hinwegzusehen und den Aufenthalt dennoch zu genießen. Städte wie Kaptstadt, Pretoria und Johannesburg machen großen Eindruck, ebenso wie die berühmten Victoria Fälle, die Agatha geradezu verzaubern. In Südafrika entdeckt die Schriftstellerin auch ihre Leidenschaft für das Surfen, ein Sport, den sie während der zehn Monate häufig zusammen mit Archie ausüben wird.



Agatha beim Surfen in Südafrika


Die nächste Station der Reise ist Australien, das Agatha gleich bei Ankunft mit seiner Pflanzenvielfalt überrascht. Die Gruppe besichtigt verschiedene Farmen und Obstplantagen. Von Sydney geht es nach Melbourne, dann weiter nach Hobart in Tasmanien. Sie besuchen offizielle Dinners und Feierlichkeiten zum Labour Day, ein Wasserkraftwerk und eine Schokoladenfabrik. Auf Australien folgt Neuseeland, das Agatha als das schönste Land bezeichnet, das sie je gesehen hat. Besonders die bergige und grüne Landschaft rund um Wellington zieht sie in ihren Bann. Es ist inzwischen Juli, die Hälfte der Reise liegt bereits hinter ihnen. Auf der anderen Seite der Welt herrscht winterliches Klima, in vielen der besichtigten Orte regnet oder schneit es sogar. Die Empire Expedition besichtigt eine Wollfabrik und das Cawthron Institute, wo agrarwissenschaftlich geforscht wird.


In Australien

Von Neuseeland aus erlauben sich Agatha und Archie einen Abstecher nach Honolulu, Hawaii. Doch so erholsam wie erhofft wird der Urlaub nicht. Der Surfsport, den die beiden nach ihrem Aufenthalt in Südafrika wieder begeistert aufnehmen, ist auf Hawaii anders als erwartet, die Bretter sind schwerer, die Strömung und die Wellen sehr viel stärker, sodass sie nach den ersten Versuchen entkräftet abbrechen müssen. Zudem unterschätzen die beiden die Sonne, sodass sie tagelang von schlimmsten Hautverbrennungen geplagt werden. Um das Surfen dennoch nicht aufgeben zu müssen, steigt Archie in seinem Schlafanzug auf das Brett, was viele Hawaiianer belustigt zur Kenntnis nehmen. Doch die Serie der Unglücksfälle ist für das Paar leider noch nicht zu Ende. Agatha zieht sich durch die Überbelastung der Arme beim Surfen eine Nervenentzündung in der Schulter zu, die ihr von da an wochenlang schlimme Schmerzen bereiten wird. Nach zwei Wochen kehren die Christies wieder zu ihrer Reisegruppe zurück. Die nächste Station: Kanada.



Agatha und Archie beim Surfen

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In Kanada machen sich erste Geldsorgen bei Agatha und Archie bemerkbar. Der Aufenthalt auf Hawaii war teurer als erwartet und auch um die Gesundheit des Paares steht es nicht zum besten. Agatha hat weiterhin starke Schmerzen in der Schulter, für die es zunächst keine Heilung zu geben scheint und Archie zieht sich bei einer Besichtigung von Getreidespeichen in den Bergen eine schwere Erkältung zu, die ihn mit Husten, hohem Fieber und Nesselsucht viele Tage ans Bett fesselt. Auch Major Belcher bleibt nicht verschont, zu seiner Beinverletzung kommen Nierenprobleme, die ihn ebenfalls eine Zeitlang außer Gefecht setzen. Doch die Unglückssträhne endet und die Gruppe kann die letzten Stationen genießen: Ottawa, die Rocky Mountains, Victoria und die Niagara Fälle. Obwohl Agatha die Schönheit der Landschaft und der Städte lobt, betont sie in ihren Briefen mehrfach, dass Archie und sie nun langsam genug von der Reise haben und nach Hause wollen. Inzwischen ist es November und beide wünschen sich nichts mehr als Weihnachten zu Hause mit ihrer Familie zu verbringen. Ein letzter Stopp wird noch in New York gemacht, wo Agatha ihre Tante besucht, dann geht es an Bord des Ozeandampfers Majestic in Richtung England.



Major Belcher

Wieder in heimischen Gefilden


Eine Reise über drei Kontinente, die sich fast über ein ganzes Jahr erstreckte, hat sicherlich bleibende Eindrücke bei den Teilnehmern der British Empire Expedition hinterlassen. Nicht nur die besuchten Orte, auch die Arten des Reisens und der Kommunikation haben sich seitdem sehr verändert. Distanzen wie von Europa nach Afrika können heute in einigen Stunden mit dem Flugzeug überwunden werden, wohingegen man in den 1920er Jahren noch hauptsächlich auf Schiffe angewiesen war, die Tage oder sogar Wochen dafür brauchten. Der Transport von Briefen und anderen Postsendungen erfolgte ebenfalls über den Wasserweg, sodass man oft Wochen auf eine Antwort von Daheimgebliebenen warten musste. Telefone gehörten nicht überall zum Standard und Telegramme wurden eher in Ausnahmefällen verschickt, da sie teuer waren. Viele Regionen außerhalb Europas waren zudem touristisch noch nicht so erschlossen, das Informationsmaterial noch nicht so vielfältig vorhanden, wie es heute der Fall ist, man brauchte also einen gewissen Hang zur Abenteuerlust, wenn man sich auf so eine lange Reise wagen wollte.


V.l.n.r.: Archie Christie, Major Belcher, Mr. Bates und Agatha Christie


Die Ausstellung zur Expedition wurde schließlich am 23. April 1924 eröffnet und erfreute sich sofort großer Beliebtheit. Auf vielfachen Wunsch war sie im darauffolgenden Jahr sogar noch einmal zu sehen. Finanziell lohnte es sich allerdings nicht für das Empire. Zu niedrige Eintrittspreise führten zu Verlusten von mindestens 1,5 Million Pfund.


Entgegen ihrer eigenen Erwartungen sollte die British Empire Expedition allerdings doch nicht die einzige Fernreise für Agatha Christie bleiben. In ihrem weiteren Leben besuchte sie unter anderem Syrien, den Irak und den Iran, Ägypten, die Türkei, Sri Lanka und die Sowjetunion.

Haben Sie nun Fernweh bekommen, meine Damen und Herren? Ob Ihr Sommerurlaub noch bevorsteht oder Sie den Rest des Sommers geruhsam auf dem Balkon oder im Garten verbringen, lassen Sie es sich gut gehen! Und wenn Sie noch die passende Lektüre brauchen, wissen Sie ja jetzt, wonach Sie schauen müssen.


Ihre Marleen Tigersee

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