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Marleen Tigersee

Die Büchse der Pandora - Filmkritik



Meine verehrten Damen und Herren,


was haben Sie üblicherweise an einem verregneten Sonntagnachmittag vor? Sie sitzen auf dem Sofa, lesen ein Buch oder starren vielleicht missmutig ob des schlechten Wetters aus dem Fenster? Wie wäre es denn mal wieder mit einem guten Film? Falls Ihr lokales Lichtspieltheater wegen der unsäglichen Pandemie gerade geschlossen hat oder nicht das richtige Programm bietet, wäre ein Filmabend im trauten Heim vielleicht genau das Richtige. Haben Sie keinen passenden Streifen zur Hand, stöbern Sie im Internet. Eine sehr bekannte Video-Plattform hat ein erstaunlich großes Angebot an frei verfügbaren Stummfilmen, was ich neulich genutzt habe, um mir einen zu Gemüte zu führen, den ich schon länger im Auge habe: Die Büchse der Pandora von 1929 mit Louise Brooks (einen separaten Artikel zu ihr wird es demnächst noch geben).


Die Handlung des Films ist an die Theaterstücke „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ von Frank Wedekind angelehnt. Eine junge Tänzerin mit Namen Lulu lebt mit ihrem wohlhabenden Gönner Dr. Schön zusammen, ein Zeitungsherausgeber mittleren Alters. Er möchte sich jedoch von ihr trennen um eine standesgemäße Ehe einzugehen. Durch eine geschickte Intrige gelingt es Lulu, dass er von diesem Plan ablässt um stattdessen sie zu heiraten. Doch endet diese Ehe in einer Tragödie, wie man sich vorstellen kann. Dr. Schöns Sohn Alwa verfällt Lulu ebenso wie die Gräfin Geschwitz (die erste lesbische Rolle auf der Kinoleinwand!). Lulu und Alwa sind bald auf der Flucht vor dem Gesetz und geraten in eine Spirale von Armut, Spielsucht und Prostitution.


Trotz seiner über zwei Stunden Laufzeit ist der Film in keiner Weise langweilig. Der Charakter der Lulu übt auch auf den Zuschauer eine starke Faszination aus. Louise Brooks spielt die Figur mit einer gewissen Unschuld und vordergründigen Naivität, die sich aber ihrer Sexualität und Verführungskunst stets bewusst ist und sie geschickt zu ihrem Vorteil einzusetzen weiß. Die Figur ist auch deshalb so interessant, da Lulu nicht nur Begehren bei denen weckt, die ihr verfallen, sondern auch eine starke Lust sie zu zerstören. Liebe und Hass sind die treibenden Kräfte in dieser Tragödie, gegen die die Charaktere um Lulu herum alle machtlos zu sein scheinen.


Auch wenn man es heute kaum glauben mag, wurde Louise Brooks nach Veröffentlichung des Films von vielen Seiten für ihre zu passive Darstellung kritisiert, was sie in ihrer Autobiographie „Lulu in Berlin“ beschreibt. Berlin war in den 20er Jahren durch die zahllosen frivolen Nachtlokale und Etablissements stark sexuell aufgeladen. Verführungskunst war gleichbedeutend mit Laszivität, wie sie Marlene Dietrich perfekt verkörperte. Dass Sexualität nicht unbedingt vordergründig sein muss, sondern auch durch scheinbare Naivität transportiert werden kann (und dadurch umso perfider ist) wurde vom Publikum nicht angenommen. Somit wurde „Die Büchse der Pandora“ leider nicht zum großen Hit für Brooks, sondern geriet in den darauffolgenden Dekaden in Vergessenheit und wurde erst in den 1950ern wiederentdeckt.


Ich persönlich war sowohl von dem Film als auch von Louise Brooks sehr angetan. Auch die übrigen Schauspieler, Fritz Kortner (Dr. Schön), Franz Lederer (Alwa Schön), Carl Goetz (Schigolch), Gustav Diesel (Jack the Ripper) und Alice Roberts (Gräfin Geschwitz) verkörpern ihre Rollen großartig. Szenen wie der berühmte Tangotanz zwischen Lulu und der Gräfin an Lulus Hochzeitstag, die Gerichtsverhandlung, bei der sie sich als trauernde Witwe inszeniert, aber gleichzeitig ihre Verführungskünste zu ihrem Vorteil einzusetzen versucht und die verhängnisvolle Begegnung am Ende mit Jack the Ripper sind so sicherlich einzigartig in der Filmgeschichte.


Also, meine Damen und Herren, wenn Sie Spannung und Tragik mit einer Prise subtiler Erotik mögen, kann ich Ihnen „Die Büchse der Pandora“ wärmstens ans Herz legen. Viel Vergnügen bei diesem wahrlichen Meisterwerk der Stummfilm-Ära!


Ihre Marleen Tigersee



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