Der Morgen des 5. April 1923. Im Krankenhaus von Kairo stirbt Lord Carnavon, genau sechs Wochen nach Öffnung des Grabes von Tutanchamun. Zur selben Zeit fällt der Strom der gesamten Stadt aus. Währenddessen im 3.000 Meilen entfernten Familiensitz Highclere Castle in England. Susie, der Lieblingshund des Lords, fällt nach kurzem wilden Bellen plötzlich tot um, nur zwei Stunden nach dem Ableben seines Besitzers. Alles nur Zufall? Oder hat hier etwa der Fluch des Pharaos zugeschlagen?
Fünf Monate zuvor im Tal der Könige. Howard Carter und seine Helfer dringen Tag für Tag tiefer in den steinigen Wüstenboden ein. Es ist die letzte Chance für den Archäologen, das legendäre Grab des Tutanchamun zu finden. Sein Geldgeber Lord Carnavon wollte ihm im Jahr zuvor aus Mangel an Ergebnissen die Mittel für weitere Ausgrabungsversuche streichen, doch Carter konnte sich noch nicht geschlagen geben. Zu viele Jahre seines Lebens hatte er schon mit der Suche verbracht, unerträglich war der Gedanke, dass alles umsonst gewesen sein sollte. Der Lord lässt sich schließlich überzeugen, noch eine Saison zu finanzieren und im Oktober 1922 beginnen die Arbeiten erneut. Die Aussichten sind zunächst nicht die besten. Im Tal der Könige wurden bereits über sechzig Pharaonengräber freigelegt, in Expertenkreisen wird gesagt, es gebe dort nichts mehr zu finden. Doch Carter hat von der einheimischen Bevölkerung, mit der er sich gut versteht, einen Tipp bekommen. In der Nähe des Grabes von Ramses VI wird die letzte Ruhestätte des Herrschers vermutet. Und tatsächlich: Am 5. November legen die Arbeiter eine Steintreppe frei, die zum Eingang einer Grabkammer führt. Carter telegraphiert an Carnavon:
At last have made wonderful discovery in Valley - a magnificent tomb with seals intact - recovered same for your arrival - congratulations.
Der Forscher und der Pharao
Siebzehn Jahre alt ist Howard Carter, als er zum ersten Mal Fuß auf ägyptischen Boden setzt. Ausgebildet als archäologischer Zeichner darf er für die Ägyptologen Percy E. Newbury und Flinders Petrie Zeichnungen aus den Grabanlagen von Beni Hassan anfertigen. Der junge Mann ist fasziniert von den kulturellen Schätzen des Altertums. Er lernt die Hieroglyphen-Schrift und die Grundlagen der Archäologie, um künftig selber forschen zu können. Während der 1890er Jahre nimmt er an zahlreichen Ausgrabungen teil und erfährt in dieser Zeit vom bisher noch unentdeckten Grab des Tutanchamun. Das Leben des Pharaos, der im 14. Jahrhundert vor Christus gelebt hat, ist für die Forscher ein Mysterium. Mit nur neun Jahren erfolgte seine Thronbesteigung, eine Dekade danach ist der Herrscher schon tot. Woran er gestorben ist und wo und was in seiner letzte Ruhestätte zu finden ist – niemand weiß es.
Howard Carter stammt aus einfachen Verhältnissen. Schon früh ist ihm bewusst, dass er sowohl als Zeichner als auch als angehender Archäologe auf die Unterstützung von wohlhabenden Gönnern angewiesen ist. Mit Fleiß und Beharrlichkeit erarbeitet er sich 1899 den Posten des Oberinspektors der Altertümerverwaltung von Oberägypten und Nubien, wodurch er nun in der Lage ist, weitere Ausgrabungen selbst zu organisieren.
Die Jahre danach sind von Erfolgen geprägt, viele Pharaonengräber werden unter seiner Leitung entdeckt, Carter knüpft viele bedeutende Kontakte und ist auch innerhalb der lokalen Bevölkerung beliebt, die er im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen mit Respekt und ohne imperialistisches Gebaren behandelt. Als eine Gruppe von Ägyptern von betrunkenen französischen Touristen angegriffen und rassistisch beleidigt wird, schlägt er sich auf die Seite der Einheimischen. Da es sich bei den Touristen jedoch um einflussreiche Gäste handelt, bleibt diese Haltung nicht ohne Konsequenzen. Die Aufforderung des französischen Konsulats, eine offizielle Entschuldigung abzugeben, verweigert er, sodass ihm nahegelegt wird, sein Amt niederzulegen. Eine Weile ist Carter gezwungen, sich als Antiquitätenhändler, Dolmetscher und Touristenführer durchzuschlagen, doch bald schon tritt ein Mann in sein Leben, der es grundlegend verändern wird: George Herbert, der 5. Earl von Carnavon.
Auf der Suche nach dem verschollenen Grab
Der Aristokrat und Financier Lord Carnavon verbringt seit einem schweren Autounfall, der bei ihm ein chronisches Lungenleiden verursacht hat, die Wintermonate im warmen Klima Ägyptens. Der vielseitig interessierte Lord lässt sich von der dort herrschenden Abenteuer- und Entdeckerlust anstecken. Er möchte auch an einem bedeutenden Fund beteiligt sein. Da ihm aber die erforderlichen archäologischen Fachkenntnisse fehlen, benötigt er dafür einen professionellen Grabungsleiter. Wie es der Zufall so will, wird ihm Howard Carter empfohlen, der trotz des Vorfalls, der ihn seinen Posten gekostet hat, noch immer über einen sehr guten Ruf verfügt. Von 1907 bis zum Ausbruch des ersten Weltkriegs führen die beiden Grabungen in Theben durch, können auch einige Pharaonengräber freilegen, aber das von Tutanchamun ist nicht dabei. Nach Ende des Krieges geht die Suche weiter, diesmal im Tal der Könige, das inzwischen als wahrscheinlichster Ort dafür gilt. Doch dauert es noch bis zum November 1922 bis endlich der ersehnte Fund gelingt.
Am 23. November machen sich Howard Carter und Lord Carnavorn an die Öffnung des Eingangs. Die anfängliche Freude wird etwas getrübt, da sie feststellen, dass die originalen Siegel nicht mehr intakt sind. Waren ihnen Grabräuber zuvorgekommen? Befand sich überhaupt noch etwas in der letzten Ruhestätte des Pharaos? Die Tür führt zu einem Gang, danach eine weitere Tür und ein weiterer Gang, dann endlich betritt Carter als erster die Vorkammer und spricht, nachdem er von Carnavon gefragt wird, was er sieht, die berühmten Worte: Wonderful things.
Die Entdecker sind umringt von antiken Schätzen wie lebensgroße bemalte Wächterfiguren, vergoldete Truhen, Möbelstücke, Vasen und Flaschen mit Duftölen. Die Gegenstände im Raum sind wild durcheinander geworfen und aufeinander gestapelt, als wäre alles hastig durchsucht und nur das mitgenommen worden, was leicht zu transportieren war. Somit sind nach 3.500 Jahren noch immer so viele Objekte vorhanden, dass es drei Monate dauert, bis alles aus der Vorkammer entfernt, katalogisiert und sichergestellt ist, bevor sie weiter in die tatsächliche Grabkammer vordringen können. Dort finden die Forscher vier ineinander liegende Schreine, vergoldet und kunstvoll bemalt. Im innersten Schrein befinden sich drei Sarkophage, im letzten liegt die Mumie des Pharao, geschmückt mit der goldenen Totenmaske, die auf der ganzen Welt berühmt werden sollte.
Der Fluch und die Folgen
Nachdem die Öffentlichkeit vom Fund des Grabes erfährt, bricht ein wahrer Ägypten-Kult aus, man spricht von egyptomania oder tutmania. Zeitungen stürzen sich auf alles, was es über die Ausgrabungsstätte zu berichten gibt. Zwischen Fakt und Fiktion wird dabei nicht immer strikt unterschieden und so kursieren bald Gerüchte um einen Fluch, der auf dem Grab des Tutanchamun liegen soll. Anlass dafür gibt der fragile Gesundheitszustand von Lord Carnavon. Ein Mückenstich auf der Wange des Earls entzündet sich nach der Rasur. Bald darauf leidet er an Fieber, Müdigkeit und geschwollenen Drüsen. Carnavon muss ins Krankenhaus nach Kairo, eine Blutvergiftung ist aus dem entzündeten Mückenstich erwachsen. Wochenlang kämpfen die Ärzte um den Lord, doch vergebens. Für die Presse ist klar: Der Fluch des Pharao hat sein erstes Opfer gefordert. In den Folgejahren nimmt die Faszination um die Öffnung des Grabes nicht ab, immer wieder wird von neuen angeblichen Opfern des Fluches berichtet und auch in der Werbung, der Mode, in Filmen und Musikstücken ist die Ägyptenbegeisterung spürbar.
Bis in die 1930er Jahre dauert die Räumung, Sicherstellung und Katalogisierung aller Objekte aus dem Grab Tutanchamuns. Die Jahre danach verbringt Carter mit dem Verfassen einer mehrbändigen Niederschrift dazu, doch wird er diese nicht mehr vollenden. Er stirbt zurückgezogen 1939 im Alter von 64 Jahren in London.
Ob es wirklich einen Fluch gegeben hat, werden wir wohl nie erfahren. Sicher ist jedoch, dass Forscher bis heute noch nicht alle Mysterien rund um das Leben des Pharao und um die Entdeckung seines Grabes entschlüsselt haben. Die Faszination für das alte Ägypten - sie ist auch nach 100 Jahren noch ungebrochen.
Ihre Marleen Tigersee
Comments